Schwerpunkt 24. September 2025, von Isabelle Berger aufgezeichnet

Im Netz zur Stille gefunden

Spiritualität

Andrea Jost meditiert via Handy in einer Online-Gruppe. Auf diese Weise erlebt sie die Stille umso tiefer.

«Ich bin Mitglied des Netzklosters. Geleitet wird es vom reformierten Pfarrer Simon Weinreich. Durch ihn bin ich auf das Angebot gestossen. Er ist auch Pfarrer in meiner Kirchgemeinde Illnau-Effretikon. Ich habe reingeschnuppert, und es hat mir sofort zugesagt.

Das Netzkloster bietet Kurse in christlicher Meditation und Treffen an, die alle digital stattfinden. Es gibt jeden Tag mehrere Gebetszeiten, die unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden angeboten werden. Ich nehme an der Sext teil, die es zweimal pro Woche vor dem Mittag gibt.

Im gemeinsamen Schweigen entsteht Verbundenheit.
Andrea Jost, Teilnehmerin Netzkloster

Ich habe ein ständiges Bedürfnis nach Stille und Ruhe, bin aber privat sehr unstrukturiert und arbeite in unregelmässigen Schichten. Mithilfe der Struktur des Netzklosters schaffe ich es, mir regelmässig Zeit für die Stille zu nehmen.

Handy als Tor zum Kloster

Mir gefällt, dass das Netzkloster so niederschwellig ist. Ich brauche nur mein Handy und einen ruhigen Ort, muss mich nicht vorbereiten und auch nicht extra irgendwo hingehen. Ich kann mich direkt aus meinem Alltag einklinken, wann immer ich Zeit habe und mir danach ist. Ich bin auch nicht zur Teilnahme verpflichtet. Dennoch besteht eine Verbindlichkeit: Bin ich dabei, bin ich es voll und ganz.

Ein Nachteil am digitalen Format ist, dass ich von der Technik abhängig bin. Einmal war mein Laptopakku leer, und ich fiel aus dem Treffen heraus. Natürlich braucht es auch eine Internetverbindung. Da ich selbst eigentlich nicht technikaffin bin, kostete mich das Angebot zuerst Überwindung. Ich entdeckte aber bald die Vorteile.

Ganz bei sich und vor Gott

Die Stille erlebe ich in der Gemeinschaft tiefer als allein. Im gemeinsamen Schweigen entstehen Verbundenheit und Nähe. Dies geschieht beim Netzkloster über die geografischen Grenzen hinaus: Es gibt Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und sogar jemanden aus Thailand. Das finde ich schön.

Ich habe entdeckt, dass ich mich Menschen nahe fühlen kann, die ich physisch noch nie getroffen habe. Vor und nach den digitalen Treffen führen wir zwar keine privaten Gespräche, aber das tut der Verbundenheit keinen Abbruch.

Mir kommt es entgegen, keinen Smalltalk führen zu müssen.
Andrea Jost, Teilnehmerin Netzkloster

Im Gegenteil. Ich bin eine introvertierte Person, mir kommt es entgegen, keinen Smalltalk führen zu müssen. Im Netzkloster kann ich still kommen und still gehen, ohne etwas sagen zu müssen. Ich kann so ganz bei mir und so auch ganz vor Gott sein. Einmal pro Jahr gibt es für jene, die das Bedürfnis haben, ein physisches Treffen. Mir genügt zurzeit das digitale Angebot.

Ich werde mich allerdings mit der Co-Leiterin des Netzklosters, Sarah Dochhan, bald mal persönlich treffen. Durch das gemeinsame Meditieren wuchs eine spezielle Verbindung.»