Schwerpunkt 26. November 2025, von Cornelia Krause

Zwischen Tradition und Erneuerung

Heilsarmee

Die Korps der Freikirche sind auf einer Gratwanderung unterwegs. Die Aussenwirkung der Organisation ist stark, doch intern setzen ihr Mitgliederschwund und Personalmangel zu. 

In der Adventszeit wird Oberstleutnant Daniel Imboden seine Uniform anziehen, mit Gitarre und Gesang durch Bern ziehen und die Topfkollekte unterstützen. An diesem Morgen Ende Oktober jedoch sitzt der 59-Jährige in schwarzer Strickjacke mit dezentem Logo im Büro am Besprechungstisch. 

Die Uniform sei ein Fall für repräsentative Termine und Anlässe wie Gottesdienste, erklärt Imboden. «Im Hauptquartier pflegen wir hingegen einen lockeren Umgang zwischen Angestellten und Soldaten, hier spricht mich niemand mit dem Dienstgrad an.» 

CEO ist der Oberstleutnant

Oberstleutnant ist eine Bezeichnung für Imboden, CEO die andere. Er ist operativ der höchste Vertreter der Heilsarmee in der Schweiz, quasi Befehlshaber über rund 3500 Soldatinnen und Soldaten sowie Chef von knapp 2000 Mitarbeitenden. Fragen zur Uniform, so viel ist klar, hat er schon oft beantwortet. 

Denn sie ist offensichtlichster Ausdruck der militärischen Struktur der Freikirche. Ein Relikt aus der Gründungszeit, als der Methodist William Booth die Heilsarmee 1865 in London zunächst unter anderem Namen ins Leben rief – als Kirche, die nicht nur herzerwärmende Predigten lieferte, sondern handfeste Hilfe. Suppe, Seife, Seelenheil, war das Credo. 

Unsere militärischen Titel und die Uniform sind Teile unserer Identität und sie sind unsere Erkennungszeichen.
Daniel Imboden, Oberstleutnant und CEO der Heilsarmee

Uniformen wurden in der viktorianischen Zeit mit Stolz getragen, die militärische Struktur war effizient für die Organisation der Versammlungen, an denen erst gegessen, dann gepredigt und bekehrt wurde. 1882 kamen erste Salutisten in die Westschweiz, von dort breitete sich die Bewegung aus. Wie in anderen Ländern wurden Gemeinden – Korps genannt – vielerorts verfolgt und eta­blierten sich trotzdem. Der Dienst am Mitmenschen überzeugte Politik und Justiz zunehmend.

Inzwischen wirkt die militärische Struktur hierzulande für viele aus der Zeit gefallen. Das Konzept der Armee werde in den Heilsarmee-Organisationen Westeuropas eher hinterfragt, räumt Daniel Imboden ein. Auch gegenüber der Uniform sei man hier kritischer als in manchen Ländern des Globalen Südens. 

Schleichender Rückgang

Mehr als das Sozialwerk bekommt das die Kirche zu spüren. Die Korps verlieren an Mitgliedern. Imboden spricht von einem schleichenden Rückgang von etwa 4000 Mitgliedern auf 3500 in zehn Jahren. Unter anderem sei dies spürbar, wenn Positionen mit Offizieren zu besetzen seien, sprich Pastoren mit theologischer Ausbildung. 

Wie in militärischen Strukturen üblich, werden diese auf ihre Posten berufen. Dennoch sieht Imboden wichtige Vorteile in der Struktur: «Unsere militärischen Titel und die Uniform sind Teile unserer Identität und sie sind unsere Erkennungszeichen.» 

Georg Schmid, der als Leiter der kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauung (Relinfo) auch Freikirchen beobachtet, sieht das gleich: «Die Struktur einer Armee bleibt für das Image in der Öffentlichkeit entscheidend. Würde die Heilsarmee diese aufgeben, wäre sie nur noch eine Freikirche wie viele anderen.» 

Insbesondere für das auf Spenden angewiesene Sozialwerk ist die starke Marke mit dem roten Schild relevant. Schmid sieht die Heilsarmee auf einer «extremen Gratwanderung», wenn es darum geht, neue Menschen für die Kirche zu gewinnen und zugleich an Traditionen festzuhalten. 

Kompromisse in der Kleiderordnung 

Um diese zu meistern, sucht die Kirche Kompromisse: Der gelockerte Umgang mit der Kleiderordnung hierzulande ist ein Beispiel. Ein weiteres ist die Mitgliedschaft im «engeren Freundeskreis», über die Gläubige am Gemeindeleben teilnehmen können, ohne Soldat oder Soldatin zu werden. Vorschriften wie die Alkoholabstinenz gelten dann nicht. Um dem Personalmangel zu begegnen, werden auch Korpsleitungen extern besetzt. Zehn Prozent der Gemeinden leiten heute Nicht-Offiziere. 

Zwar ist die Kirche hierarchisch organisiert, doch haben die 49 Korps in jüngsten Jahren mehr Spielraum erhalten. Die Konsequenz: Einzelne Gemeinden wachsen, etwa das Korps Zürich Oberland, bekannt für eine neocharismatische Ausrichtung. Korpsleiter Beat Schulthess bietet dort unter anderem die Dämonenaustreibung, den sogenannten Befreiungsdienst an.

Andere Korps hätten sich erfolgreich auf Hauskreise oder Jugendarbeit spezialisiert, sagt Imboden. Die Grenze der Autonomie sei aber erreicht, sollte ein Korps sektiererische Anzeichen zeigen oder eigene Regeln aufstellen wollen, die nicht mit der grundsätzlichen Ausrichtung der Heilsarmee übereinstimmen.

Die Heilsarmee ist eher attraktiv für Menschen, die gern in einer Freikirche sind, sich theologisch aber tendenziell auf der moderateren Seite sehen.
Georg Schmid, Leiter der kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauung (Relinfo)

Trotz einzelner neocharismatischer Korps sieht Schmid die Heilsarmee theologisch näher an der reformierten Landeskirche als manch andere Freikirche. Diese Positionierung hält er für eine weitere mögliche Ursache des Mitgliederschwunds. Weniger trendy als viele der wachsenden Jugendfreikirchen sei die Heilsarmee. «Sie ist eher attraktiv für Menschen, die gern in einer Freikirche sind, sich theologisch aber tendenziell auf der moderateren Seite sehen.» 

In der ökumenischen Zusammenarbeit kommt der Heilsarmee diese Ausrichtung zugute. Neben Baptisten und Methodisten ist sie eine von drei freikirchlichen Vollmitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AGCK). Schon lange pflegten die Heilsarmee und die reformierten Kirchen sehr gute Beziehungen, betont der AGCK-Präsident Florian Schubert, der reformierter Pfarrer ist. Bei Mitgliedern und Gottesdienstbesuchern gebe es Schnittmengen. «Geht es um bioethische und moralische Fragen, steht die Freikirche der römisch-katholischen Kirche ideell sicher näher.» 

Das Ende der Provokation 

Eher konservativ zeigt sich die Kirche auch in der Frage um Mitglieder mit Leitungsfunktionen aus der LGBTQ+-Gemeinschaft. International gibt es keine klare Position, in der Londoner Zentrale läuft ein Projekt zur Mitgliedschaft. «Wir sind gespannt, was herauskommt, derzeit gelten in verschiedenen Ländern teils unterschiedliche Kriterien», sagt Imboden. Hierzulande gebe es keine klare Richtlinie. 

Dass die Frage polarisiert, zeigt der Fall der Methodisten, bei denen die Frage über die Vereinbarkeit von Homosexualität und Kirchenamt fast zur Spaltung führte. «Entscheidend ist, dass unsere Angebote allen Menschen offenstehen, egal welcher Wertehaltung oder sexueller Orientierung», sagt Imboden. Auch bei Angestellten seien diese nicht «die primären Kriterien». 

Bei der Topfkollekte werden Fragen nach Reformen keine Rolle spielen, gefragt sind dann Uniformen und Tradition. Und doch hat sich die Kollekte laut Imboden im Lauf der Jahrzehnte verändert. Die Salutisten seien früher provokativer aufgetreten und hätten den Menschen die Rettung versprochen. «Da sind wir heute zurückhaltender», meint der Oberstleutnant.