Nicht nur eine Frage der Autonomie

Sterbehilfe

Die Kirche ist auch für Menschen da, die mit assistiertem Suizid aus dem Leben scheiden wollen. In einer Handreichung für Seelsorgende positioniert sich der Kirchenrat liberal.

Assistierter Suizid wird innerhalb der reformierten Kirche kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite stehen Autonomie und Selbstbestimmung, auf der anderen Seite die Sorge, auf Sterbewillige könnte ein sub­tiler Druck ausgeübt werden, am Ende des Lebens anderen nicht zur Last fallen zu dürfen. Wie gehen Seelsorgende, Beauftragte und Freiwillige im kirchlichen Dienst mit diesem moralischen Konflikt um?

Der Zürcher Kirchenrat hat sich in den letzten zwei Jahren intensiv mit Sterbehilfe und Seel­sorge auseinandergesetzt. Nun liegt erstmals eine Handreichung vor, die in dieser Frage Orientierung bieten soll. Die wichtigste Botschaft: Eine individuelle Entscheidung zu einem assistierten Suizid gilt es zu respektieren. Und jeder Mensch, der dies wünscht, wird von der reformierten Kirche seelsorglich begleitet.

Sicher der Realität stellen

Kirchenrätin und Pfarrerin Esther Straub hat das 45-seitige Papier von Beginn weg eng begleitet und das Vorwort verfasst. Der assistierte Suizid – die von einer Sterbehilfeor­ganisation durchgeführte Begleitung eines Menschen, der seinen Tod mit­tels des Barbiturats Natrium-Pentobarbital selbst herbeiführt – sei kein Tabu mehr, sagt sie im Gespräch mit «reformiert.». «Wir wollen nahe bei den Menschen sein, dieser Rea­lität Rechnung tragen.» Im Jahr 2010 tönte es noch ganz anders: «Suizidbeihilfe ist keine seelsorgliche Tätigkeit und unvereinbar mit dem kirchlichen Dienst», hielt der Kirchenrat damals in einer Stellungnahme fest.

Zwischenzeitlich habe sich die Haltung in der reformierten Kirche gewandelt, sie sei von einer klaren Ablehnung in eine deutliche Zustimmung gekippt. Straub verweist in dem Kontext auf zwei von «reformiert.» in Auftrag gegebene, repräsentative Umfragen aus den Jahren 2008 und 2014. Auch unter dem grössten Teil der Seelsorgenden bestehe eine grosse Offenheit. Entsprechend liberal ist die Handreichung formuliert.

Neben Reflexionen zur Seelsorge und Bibeltexten sind auch Fallbeispiele skizziert, gesetzliche Grundlagen und medizinisch-ethische Richtlinien zusammenstellt sowie ein Glossar aufgeführt. Allerdings könne niemand zu einer seelsorglichen Begleitung gezwungen werden, betont Straub. Handelt eine Pfarrperson gegen ihre eigenen Überzeugungen, sei dies «keine gute Voraussetzung». Für einen solchen Fall schreibt die Kirchenordnung vor, sich an die zuständige Stelle zu wenden. Diese sucht dann geeigneten Ersatz.

Den Raum öffnen für Gott

Michael Coors, Professor für theologische Ethik an der Universität Zürich, hat ein Buch zur Seelsorge bei assistiertem Suizid veröffentlicht. 2021 referierte er an einer von der Zürcher Landeskirche organisierten Fachtagung, die Ausgangspunkt des Diskurses bis hin zur Handreichung war. «Die Stärke der Stellungnahme liegt darin, dass sie sich nicht auf die Diskussion über die moralische Bewertung der Suizidhilfe selbst einlässt», sagt er. Vielmehr konzentriere sie sich auf die Frage der seelsorglichen Begleitung.In biblischen Texten stehe zwar, dass das menschliche Leben ein hohes und schützenswertes Gut sei. Das heisst für Coors aber nicht, dass das eigene Leben um jeden Preis erhalten werden muss.

Auch für Kirchenrätin Straub schliessen sich Glauben und ein Entscheid zum assistierten Suizid nicht per se aus. Zu den Mitbegründern von Exit gehörte auch ein Pfarrer, sagt sie. In der Handreichung gehe es dem Kirchenrat darum, Betroffene in ihrem Bedürfnis nach Seelsorge ernst zu nehmen, ihnen den Raum zu öffnen für ein Gespräch mit Gott.