Die Strassen im Churer Rheinquartier sind nass und wirken verlassen. Aber in einem niedrigen Betonbau zwischen den Hochhäusern herrscht das quirlige Leben: Im Kindergarten Albula springen die Kinder fröhlich von einer Spielecke zur anderen. Sie sind auf einem Postenlauf mit Übungen zur Feinmotorik.
Rücksicht erwünscht?
Seit 22 Jahren unterrichtet Katinka Brini im Kindergarten Albula. Alle Jahre wieder erzählt sie auch die Weihnachtsgeschichte. Obwohl einige ihrer 13 Kinder einer anderen Religion oder Kultur angehören. «Die Kinder lieben diese Geschichte», sagt Brini, «ich erzähle sie in einer auch für fremdsprachige Kinder verständlichen Art und Weise.» In Brinis Klasse hat keines der Kinder Deutsch als Muttersprache. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hielten sich mit dem Erzählen zurück, so Brini, aus Rücksicht vor der anderen Religiosität oder weil die Lehrperson selbst keinen Bezug zu Religion habe.
Religion und Lehrplan
Die Schule ist seit jeher ein politisch und konfessionell neutraler Ort. Der Lehrplan der Volksschulen in der Schweiz, der 2019 in 21 Kantonen der Deutschschweiz eingeführt wurde (Lehrplan 21), hält fest, dass Schülerinnen und Schüler Festtraditionen aus verschiedenen Religionen kennen, beschreiben, erläutern, reflektieren und vergleichen können sollen. Das Feiern religiöser Feste als Teil des schulischen Unterrichts ist im Lehrplan 21 aber nicht genauer definiert. Wie Weihnachten im Rahmen des Lehrplans thematisiert wird, steht den Lehrpersonen deshalb frei.
Lehrpersonen entscheiden
Jürg Gysin, Schulleiter im Schulhaus Fortuna Primar, zu dem auch Katinka Brinis Kindergarten zählt, sagt dazu: «Die Adventszeit ist in unserem Schulalltag präsent. Es gibt Schulhäuser, die stellen eine Krippe auf oder einen Christbaum.» Dass die Weihnachtsgeschichte von Lehrpersonen nicht mehr erzählt werde, könne er weder dementieren noch bestätigen. Es liege im Ermessen der jeweiligen Lehrperson, ob sie einen Schwerpunkt bei der Weihnachtsgeschichte setzen wolle, so Gysin.
Keine Sicherheit
Doch diese Unverbindlichkeit alarmierte den Vorstand der Kirche Chur. «Wenn wir unsere Traditionen nicht mehr weitergeben können, dann hat Kirche tatsächlich keine Zukunft mehr», sagt Reto Küng, Präsident der Reformierten Kirche Chur. «Weil viele Lehrpersonen sich beim Erzählen der Weihnachtsgeschichte in multikulturellen Klassen unsicher fühlen, verzichten sie lieber», weiss Reto Küng.
Künstlerische Freiheit
Das habe den Vorstand denn zum Handeln bewogen. Marion Pfaffen, Puppenspielerin, Clownin und Gründerin des Figurentheaters Arcas, erhielt den Auftrag, die Weihnachtsgeschichte für Kinder als Puppenspiel zu entwickeln und umzusetzen. Und dafür habe sie volle künstlerische Freiheit erhalten, sagt Marion Pfaffen in ihrem Atelier in Rhäzüns. Auf dem Tisch liegen Leim, Schere, Bohrer, Farbtuben und allerlei Stoffe. Orange leuchtende Sterne auf Eisenstäben und ein Glitzerstern, «der Stern von Bethlehem», sind bereits gebastelt.
Ein roter Faden
Auch Maria, Josef und der Esel sind in den Grundzügen erschaffen. Die drei bilden den roten Faden des Puppenspiels, bei dem die Kinder nicht nur während des Theaters mitmachen, sondern auch beim Auf- und Abbau mithelfen können. Nebst eigenen Figuren und Requisiten hat Pfaffen auch ein Drehbuch verfasst. Die Musik dazu stammt aus der Feder ihres Partners Shane T. Brady, der sie auf der Ukulele begleitet.
Theologische Begleitung
«Die Geschichte hat den Charakter eines Märchens und soll auch als solches erzählt werden», heisst es im Konzept. Die Weihnachtsgeschichte – ein Märchen? «Es ist in erster Linie eine biblische Geschichte», sagt Pfarrerin Barbara Hanusa von der landeskirchlichen Fachstelle für Religionspädagogik in der Schule, in diesem Kontext sollte die Erzählung auch erfolgen. Dafür sorgen wird die Pfarrerin Sabine-Claudia Nold. Sie ist mit der theologischen Begleitung des Puppenspiel-Projekts beauftragt worden. Im Kindergarten Albula ist nun Znünipause. Hier wird am 30. September vor dem jungen Testpublikum «Die Weihnachtsgeschichte» probeaufgeführt.