«Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.» Der deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb sein Gedicht «Von guten Mächten» 1944 in einem Berliner Kellergefängnis. Nur wenige Monate, bevor er am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazis ermordet wurde.
Wunder des Gottvertrauens
«In der Einsamkeit einer Gefängniszelle solch eine Geborgenheit und ein Gottesvertrauen auszudrücken, ist ein Wunder», sagt Wolfgang Huber, der zu den Herausgebern der Bonhoeffer Werkausgabe gehört. Zuletzt übersetzte er einen in Indien gefundenen Brief Bonhoeffers an Mahatma Gandhi, der in der April-Ausgabe der Zeitschrift «Zeitzeichen» erstmals publiziert wird.
Der Brief vom 17. Oktober 1934 sei eine Sensation, betont Huber. «Wir wissen nun, Bonhoeffer wollte Gandhi nicht nur besuchen, um von seinem gewaltfreien Widerstand zu lernen. Sondern auch, weil er sich für Gandhis Spiritualität interessierte.» Der Theologe erklärt dies damit, dass Bonhoeffer das westliche Christentum in einer Krise sah. In Europa und den USA habe er niemanden gefunden, der ihm Perspektiven aufzeigen konnte.
Gefährliches Doppelleben
Der 1906 geborene Bonhoeffer fuhr jedoch nie nach Indien. Mit 21 Jahren hatte der Lutheraner promoviert und bereits früh vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Er ver-trat die Bekennende Kirche, die sich gegen eine Gleichschaltung der Deutschen Evangelischen Kirche mit dem Nazi-Regime wehrte.
Nach einem Berufs-, Rede- und Schreibverbot führte der Theologe ein riskantes Doppelleben: Offiziell arbeitete er für den militärischen Ge-heimdienst, zugleich beteiligte er sich am Widerstand. Eigentlich war Dietrich Bonhoeffer überzeugter Pazifist. Doch ein Attentat auf Adolf Hitler war für ihn christlich vertretbar, da der Kriegstreiber nur so gestoppt werden könne. Das Gebot, nicht zu töten, könne auch die Pflicht beinhalten, nicht töten zu lassen. Bonhoeffer, der auf Gottes Gnade hoffte, rang mit der Schuldfrage. Egal, ob er handle oder nicht, schuldig mache er sich ohnehin.
Die Bergpredigt als Zentrum
«Dietrich Bonhoeffer sass nicht nur am Schreibtisch, sondern lebte, wie er glaubte», hält Christiane Tietz fest. «Diese Übereinstimmung von Leben und Denken, Theologie und Biografie fasziniert bis heute», sagt die Professorin für Theologie an der Universität Zürich und ehemalige Vorsitzende der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft.
Das zentrale Thema in Bonhoeffers Theologie ist die Bergpredigt. Er hoffte, dass ihre Gewaltfreiheit nicht länger als unpolitische, weltfremde Haltung verstanden würde, sondern als eine Kraft realer Veränderung, wie Huber in seinem Bonhoeffer-Porträt schreibt. Passivität war trotz Gottvertrauen keine Option. Vielmehr stellte sich der Theologe der Situation: 1939 kehrte er aus New York nach Deutschland zurück, obwohl er im Exil eine Arbeitsstelle in Aussicht gehabt hätte.
Bonhoeffers Werk erlangte erst 1951 Aufmerksamkeit, als seine Gefängnis-Briefe und Aufzeichnungen unter dem berühmten Titel «Widerstand und Ergebung» veröffentlicht wurden. Seine Bereitschaft, sich für eine Zukunft in Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, diente weltweit als Vorbild. «Bonhoeffers Gedanke, als Christ Verantwortung zu übernehmen, ist zeitlos», unterstreicht Christiane Tietz. Und er sei gerade «heute in Zeiten von Nationalismus und Rassismus» von grosser Bedeutung.