Er gilt in der Philosophie als Experte für Trans- und Posthumanismus. Doch dass er ewig leben möchte, sagt der Deutsche Stefan Lorenz Sorgner nicht: «Wer davon ausgeht, dass ein ewiges, diesseitiges Leben möglich ist, hat sich als ernst zu nehmender Philosoph disqualifiziert.» Ein langes Leben hingegen strebt er an, und entsprechende Vorschläge hat er auch.
Ein zentrales Anliegen von Sorgner ist eine neue Basis für moralische Betrachtungen. Die persönlichen Bedürfnisse sollten stärker gewichtet werden, fordert er. «Solange unsere Zielsetzungen anderen Personen keinen Schaden zufügen, sollte das Recht bestehen, auch auf die neuesten Techniken zugreifen zu können.» Denn unser Leben werde lebenswerter, wenn wir unsere Wünsche, Triebe und Bedürfnisse realisieren könnten.
Neue moralische Bewertung
Als ein Beispiel nennt er die Fortpflanzungstechnik. Das Recht, den Partner oder die Partnerin auszuwählen, bestehe ja bereits. Für den Philosophen müsste das konsequent weitergeführt werden: «Genauso sollten wir das Recht haben, befruchtete Eizellen bei In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik auswählen zu dürfen.» Oder prinzipiell gesagt: Prozesse mit gleichen Strukturen sollten auch moralisch gleich bewertet werden.
Dazu müssten aber Relikte weichen, sagt Stefan Lorenz Sorgner. «Jeder Mensch hat ganz eigene Bedürfnisse für ein erfülltes Leben.» Demzufolge dürfte die Entscheidung nicht mehr von Politikern, religiösen Autoritäten oder Machthabern getroffen werden. Sorgner ortet im Bereich Moral noch viele Mechanismen der Bevormundung: «verkrustete Überbleibsel der westlichen Kulturgeschichte», wie er findet. Die Anerkennung der Tatsache, dass «das Gute» vielfältig sei, müsse weiter ausgebaut werden.
Für digitale Überwachung
Unter den Techniken für die «Verlängerung der Gesundheitsspanne» nennt der Philosophieprofessor drei Hauptkategorien: die Gentechniken, die Implantation von Chips in den Körper und die Digitalisierung von Persönlichkeit. Die Digitalisierung und vor allem das «Mind Uploading» sieht er aber als vorläufig unrealistisch an. Für wirklich relevant hält Sorgner zurzeit nur die beiden ersten Möglichkeiten.
Die Gefahr, dass Reiche bevorteilt würden, weil sie sich mehr leisten könnten, sieht Sorgner nicht. Er verweist auf die Geschichte: Vor zwei Jahrhunderten habe die ab-
solute Armutsrate weltweit etwa 90 Prozent betragen – heute noch 10 Prozent. Und in Europa sei es «entscheidend, dass die öffentlichen Krankenkassen gefördert werden». Dies allenfalls zum Preis einer «umfassenden digitalen Überwachung». Denn die Entwicklung neuer Technologien sei teuer. Umfangreiches Datenmaterial dagegen könnte den Fortschritt begünstigen.
Insgesamt würden die Entwicklungen dem Menschen vermehrt vor Augen halten, dass wir uns lediglich «graduell» von anderen Lebewesen unterscheiden – aus dem Grund eben, weil wir ohne die Vielfalt an Erweiterungen und Hilfsmitteln kaum weiter kämen. «Das führt zu einer neuen Bescheidenheit des Menschen», sagt Stefan Lorenz Sorgner.