Glaube 24. April 2024, von Hans Herrmann

«Als Pfingstsymbol hat die Taube ihre Kraft verloren»

Die Taube

Sie ist ein christliches Symbol und steht für den Geist Gottes. Die Theologin Silvia Schroer bedauert, dass das Tier in der Theologie zum geschlechtslos «Unschuldigen» wurde.

Was fasziniert Sie persönlich an der Taube?

Silvia Schroer: In meiner Zeit in Fribourg habe ich über alttestamentliche Hinweise auf bildliche Darstellungen im alten Israel promoviert. Dabei stiess ich auch auf die Taube. Diese ist eine Kulturfolgerin, und sie hat im Zusammenleben mit dem Menschen einen Domestikationsprozess durchgemacht. Solche Vorgänge interessieren mich. Wenn ich aber vor der Wahl stünde, entweder Taubenzüchterin oder aber Falknerin zu werden, würde ich mich für Letzteres entscheiden.

Wie kam die Taube in die Bibel?

Im Judentum der altisraelitischen Zeit kannte man die Taube als Botentier, im Talmud galt sie als Sinnbild für das Volk Israel. Und einer der Propheten trug bekanntlich ihren Namen: Jona bedeutet übersetzt Taube. Sie spielte insbesondere auch eine Rolle als Opfertier.

Warum als Opfertier?

Vermutlich, weil die Taube in diesem geografischen Raum durch die Domestikation reichlich vorhanden war und ihr Fleisch gut schmeckt. Sie gehört zu jenen Vögeln, die gemäss den jüdischen Speisevorschriften gegessen werden dürfen. Tauben liessen sich billig erwerben und eigneten sich daher als Opfertier gerade auch für die kleinen Leute.

Silvia Schroer, 65

Silvia Schroer, 65

Sie studierte katholische Theologie und Altphilologie. 1989 habilitierte die Alttestamentlerin als erste Frau an der katholischen Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Nach einer regen Forschungs- und Lehrtätigkeit war sie von 1997 bis zu ihrer Emeritierung 2023 Professorin für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Universität Bern.

Hat die Taube eine nicht jüdische Vorgeschichte im alten Orient?

Ja. Bereits im zweiten vorchristlichen Jahrtausend wurden in Syrien weisse Tauben an den Tempeln, insbesondere den Heiligtümern der Ischtar, gezüchtet. Der Taube wurde im gesamten Vorderen Orient und dann auch in der griechischen und römischen Welt eine feste Verbindung mit den erotischen Göttinnen zugeschrieben. Vielleicht, weil die Tauben die Schnäbel aneinanderreiben, was sich als Küssen interpretieren lässt.

Zwei biblische Taubenszenen sind im Christentum zum Allgemeingut geworden: die Taube Noahs mit dem Ölzweig und die Taube am Jordan als Symbol des Heiligen Geistes. Warum gerade diese zwei?

Sicher hat das Bild von Pablo Picasso, das er 1949 für das Plakat zum Weltfriedenskongress in Paris schuf, viel zur Bekanntheit der Noah-Taube beigetragen. Die berühmte Zeichnung einer Taube mit Ölzweig im Schnabel orientiert sich an der Schilderung der biblischen Sintfluterzählung. Diese Geschichte ist schon für sich allein sehr einprägsam, und die Taube hat darin eine wichtige Bedeutung als Botin. Sie zeigt der Besatzung der Arche an, dass die Wasser stetig zurückweichen und sich bald wieder Land betreten lässt. Im übertragenen Sinn bedeutet dies: Der Frieden zwischen Himmel und Erde ist wiederhergestellt.

Und wie steht es mit der Taube, die bei Jesu Taufe im Jordan erscheint?

Auch die Taufperikope ist eine sehr prägnante Erzählung, sie kommt in allen vier Evangelien vor. Und in allen vier Evangelien erscheint, während Jesus von Johannes die Taufe empfängt, die Taube. Das ist bemerkenswert. Die Taube spielt in dieser Überlieferung somit eine zentrale Rolle, und zwar als Symbol für den Geist (das Pneuma), den Geist Gottes oder den Heiligen Geist. Ich halte die Verbindung Taube-Pneuma jedoch für eine Deutung und theologische Einordnung derer, die diese Texte geschrieben haben – oder von Quellen, auf die sie zurückgriffen. Die Taube erscheint übrigens in der Pfingsterzählung in der biblischen Apostelgeschichte noch nicht, hier wird der Heilige Geist durch Feuerzungen repräsentiert.

Die Kirchenväter haben es verstanden, die erotisch konnotierte Taube in die Geschlechtslosigkeit abzudrängen und zu einem unverfänglichen Symbol der Unschuld, Arglosigkeit und Reinheit zu machen.

Was könnte die Tauf-Taube ursprünglich bedeutet haben?

Gemäss den synoptischen Evangelien, also Markus, Matthäus und Lukas, wird die Taube, die auf den frisch getauften Jesus herabkommt, von einer himmlischen Stimme begleitet: «Das ist (oder: du bist) mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.» Es handelt sich um eine göttliche Liebeserklärung – und sie ist nicht «rein spirituell», denn die Taubensymbolik sorgt dafür, dass in ihr etwas Sinnliches, ja ein Stück Leidenschaft enthalten ist. Die damaligen Hörerinnen und Hörer hatten ein feines Ohr für solche Chiffren. Sie wussten nur zu gut um die Verbindung der Taube zu den orientalischen Liebesgöttinnen.

Wer war denn Ihrer Ansicht nach die Wesenheit, die so von Jesus gesprochen hat? Eine Liebesgöttin wohl kaum.

Nein, ich behaupte nicht, dass die Verfasser oder Verfasserinnen der Evangelientexte an Jesus als Sohn einer Göttin dachten. Es handelt sich vielmehr um eine Flexibilität in der Gottesrede, die mit der jüdischen Weisheitstradition in Verbindung steht und in der eine weibliche Komponente mitschwingt. Chokmah, Sophia, Sapientia waren personifizierte weibliche Verkörperungen der Weisheit Gottes, und diese weisheitlichen Gottesbilder ragen weit in den neutestamentlichen Quellenbestand hinein.

Die Tauf-Taube beziehungsweise die Taube als Symbol von Pfingsten gilt im Christentum aber als der reine Geist Gottes, ohne jede Sinnlichkeit. Wie kam es dazu?

Das ist der Ablehnung der Sexualität in der frühen Kirche geschuldet. Deren Theologen, die Kirchenväter, waren asketisch ausgerichtet. Sie haben es verstanden, die erotisch konnotierte Taube in die Geschlechtslosigkeit abzudrängen und zu einem unverfänglichen Symbol der Unschuld, Arglosigkeit und Reinheit zu machen. Dabei beriefen sie sich als ausgeprägt literaturorientierte Intellektuelle vermutlich unter anderem auf die klassischen «heidnischen» Autoren, welche die Taube als Symbol der Tugendhaftigkeit verstanden. Ich betrachte es als Verlust, dass die inspirierende Pfingstsymbolik im Endeffekt patriarchalisiert wurde.

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Symbole zu ändern und Pfingsten mit einem brüllenden Löwen zu verbinden!

Und Maria, die Gottesmutter? Hat sich die «weibliche» Taube nicht wenigstens in ihrem Umfeld erhalten können?

Doch, das hat sie. Darstellungen von Maria mit Taube gibt es ausgesprochen viele und vielseitige.

In Ihren frühen Publikationen zur Weisheit legen Sie Ihre These dar, wie die erotisch-weibliche Tauf-Taube der Evangelien später zum geschlechtslosen Symbol der Reinheit und Keuschheit umge­deutet wurde. Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?

Unterschiedlich. Ein Teil der Leserschaft konnte diese Auslegung nachvollziehen und begrüsste sie. Aber vorab Vertreter der römisch-katholischen Kirche zeigten sich nicht eben begeistert. Als mich die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen 1991 auf einen Lehrstuhl für Altes Testament berufen wollte, verweigerte mir der zuständige Bischof die Berufung – unter anderem wegen meiner Tauben-Auslegung, zudem auch wegen anderer feministischer Positionen. Ich habe also sogar einen biografischen Bezug zur Taube.

Ist die Taube heute überhaupt noch das passende Symbol für Pfingsten?

Viele Menschen denken bei der Taube heute eher an den Markusplatz in Venedig mit seinen ungezählten Tauben, eigentlich also an die Taube in ihrer popularisierten, erotischen Bedeutung – oder an die schon fast klischeehafte Friedenstaube. Was bedeutet es, wenn ein ursprünglich starkes Symbol seine Kraft und Bedeutung verliert? Pfingsten steht für die unberechenbare, überwältigende, stürmische göttliche Geistkraft, für Aufbruch und Inspiration. Die Taube als harmloses Sinnbild für Reinheit sowie Friedfertigkeit passt nicht dazu. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Symbole zu ändern und Pfingsten mit einem brüllenden Löwen zu verbinden!