Glaube 27. August 2025, von Imke Marggraf

«Religion ist sehr tabuisiert in unserer Gesellschaft»

Bildung

Seit 40 Jahren gibt es schweizweit die Möglichkeit für Erwachsene, ein Grundwissen über Religion und Glauben zu erlangen. Jörg Lanckau ist das Gesicht des Bündner Theologiekurses. 

Vor uns liegt der Jahresplan des neu startenden Theologiekurses Graubünden. An wen genau richtet sich der Kurs?
Jörg Lanckau: Der Kurs ist für Menschen geeignet, die sich für Lebens-, Glaubens-, Sinnfragen interessieren und keine theologische Ausbildung haben. Also Laien. Wir bieten den Kurs an, damit wir der evangelischen Idee gerecht werden, dass die Gemeinde mündig ist und die Bildung hochgeschätzt wird. Das ist typisch für die evangelische Kirche.

Mit welchem Ziel besuchen die Menschen diesen Kurs?
Zum Beispiel, weil sie sagen: «Ich bin jetzt in einer Lebenssituation, ich möchte das gern für mich machen, für meine Entwicklung.» Einige machen eine Ausbildung als Laienpredigerin oder Laienprediger, sie werden also in Kirchgemeinden auch Gottesdienste gestalten. Dafür ist der Kursbesuch Voraussetzung.

Der Kurs ist in Modulen organisiert, Einstieg jederzeit möglich.
Es sind 18 Module, die man auch einzeln besuchen kann. Wir arbeiten in verschiedenen Formen: Präsenzzeiten, reine Online-Veranstaltungen und Selbststudium.

Sie sagen, es gibt keine formalen Voraussetzungen. Was sollte man gleichwohl mitbringen?
Einen gesunden Menschenverstand und die Offenheit, über philosophische, geschichtliche, theologische, ethische Fragen zu sprechen. Formell gibt es keine Voraussetzung, keinen Schulabschluss, keine theologische Vorbildung oder irgendetwas. Selbst denken: «Ich denke, also bin ich», wie es der französische Philosoph René Descartes formulierte, das genügt.

Wenn der Kurs breit und offen angelegt ist und die Teilnehmenden inhaltlich zur Sache kommen: Wie kontrovers geht es dann zu?
Streitgespräche gibt es immer wieder. Eine Streitkultur kann etwas sehr Positives sein. Wenn klar ist, dass die Gruppe mit denselben Fragestellungen unterwegs ist, dann ist es gut, Meinungen auszutauschen. Nicht um der Meinung selbst willen, sondern der Sache wegen. Insofern lernen die Teilnehmenden, die eigene Meinung zu begründen, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Die eigentliche Kunst der Kommunikation besteht ja darin, andere Auffassungen zu hören und sich damit auseinanderzusetzen. Und wenn ich das tue, dann werde ich sprachfähig. Es ist ein erklärtes Ziel des Theologiekurses, Menschen sprachfähig zu machen, sprachfähig in mit Tabus belegten Angelegenheiten. Ich behaupte jetzt mal, dass Religion sehr tabuisiert ist in unserer Gesellschaft.

Sie sprechen von der Streitkultur, dem Streit um das Wort, dessen Auslegung ja auch zur Theologie gehört. Wie erklären Sie den Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern die Geschichte der christlichen Streitkultur?
Der Anfang der Christenheit war alles andere als harmonisch. Man muss sich nur einige Debatten um Apostel Paulus anschauen. Da kann man in die Schuhe der anderen Meinung schlüpfen. Es gibt eine Menge Polemik im Neuen Testament, auch gegenüber Andersdenkenden.

Werfen wir einen Blick auf die kirchliche Gegenwart. Die Landeskirchen des Konkordats entwickeln zur Nachwuchsgewinnung beim Pfarrpersonal derzeit neue Modelle. Zudem soll mit dem «Plan P» der Pfarrmangel abgefedert werden: Akademikerinnen und Akademiker ab 55 sollen auch ohne Theologiestudium eine Pfarrstelle übernehmen können, wenn sich keine Pfarrperson finden lässt. Welche Auswirkung hat diese Entwicklung auf den Theologiekurs?
Ich gönne das persönlich jedem und jeder, der oder die das gern möchte, und ich hoffe, wir gewinnen Engagierte für die Kirche. Aus der Not geboren, ist die Idee verständlich. Die Konzentration auf die Pfarrerinnen und Pfarrer als Repräsentanten der Kirche halte ich aber für falsch. Alle Berufsgruppen sollten am Amt der Verkündigung teilhaben. Der Theologiekurs kann so gesehen eine gute Ergänzung zum «Plan P» sein. 

www.theologiekurs-graubuenden.ch 

Jörg Lanckau, 55

Der dreifache Familienvater studierte in Halle, Basel und Leipzig. Von 2003 bis 2012 war er Pfarrer in Untervaz-Haldenstein. Seit 2013 ist er Professor für Biblische Theologie und Kirchengeschichte an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und besitzt den Fachausweis Erwachsenenbildner. Beim Bündner Theologiekurs ist er seit 2002 Referent, seit 2013 Kursleiter. Er lebt in Castiel und Nürnberg.