Es ist das Zeitalter unendlicher Möglichkeiten. Wir können uns auf unzähligen Kanälen in Echtzeit über alles informieren, haben rund um die Uhr die Wahl aus einer riesigen Menge an Konsumartikeln, und selbst bei der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner begegnen wir einer scheinbar grenzenlosen Auswahl auf Datingportalen. Die Entscheidungen, die wir dabei fällen, widerspiegeln unsere Interessen und Ideale, wir definieren damit unsere Persönlichkeit. Im Kern kreist alles um eine zentrale Frage: Wer will ich eigentlich sein?
Grenzenlose Möglichkeiten gelten in einer Gesellschaft des Wohlstands und der individuellen Freiheiten. Unter anderen Lebensumständen haben andere Fragen Priorität. Doch die menschliche Natur bleibt beständig. Alle Menschen suchen eigentlich immer dasselbe: die Anerkennung durch die anderen.
Jean-Jacques Rousseau, Genfer Philosoph der Aufklärung, erkannte darin Übel und Segen zugleich. Einerseits besteht durch die Anpassung an die gesellschaftlichen Erwartungen stets die Gefahr der Entfremdung vom eigenen Leben und sich selbst. Andererseits treibt uns dieser Wunsch an, laufend an uns zu arbeiten und den jeweils geltenden Idealen entsprechend nachzustreben. Mit anderen Worten: uns selbst zu optimieren.
Permanente Sichtbarkeit
Das war schon immer so. Die Normen verändern sich – der Kern des sozialen Prozesses bleibt derselbe. Ein Beispiel: Blasse Haut galt in früheren Zeiten als schön. Man fand sie im Adelsstand oder der Bourgeoisie, deren Angehörige nicht körperlich arbeiten mussten. Von der Sonne gegerbte Haut war ein Zeichen harter Plackerei auf dem Felde. Erstrebenswert war und ist das Aufsteigen in bessergestellte Schichten und damit auch die Übernahme ihrer sichtbaren Merkmale.
Über lange Zeit vollzog sich Selbstoptimierung für den Grossteil der Menschen im Privaten. In der (digitalen) Epoche grenzenloser Transparenz avancieren die öffentliche Selbstinszenierung und Rückversicherung durch die Allgemeinheit aber zum vermeintlich obersten Gebot. Die permanente Sichtbarkeit macht viele Menschen zu Getriebenen. Manche zerbrechen daran, andere verlieren sich in einem selbstverliebten Schaulaufen.
