Neue Handreichung gegen Antisemitismus

Kirche

Mit einem Leitfaden will die Reformierte Kirche Zürich Antisemitismus konsequenter begegnen. Dieser lädt ein, die Bibel neu zu lesen und sensibler auf Vorurteile zu reagieren.

Die Reformierte Landeskirche Zürich hat eine Handreichung gegen Antisemitismus veröffentlicht. Sie richtet sich an Pfarrpersonen, Unterrichtende, Kirchenpflegen und alle, die kirchliche Sprache prägen und biblische Texte vermitteln. Auslöser war ein Postulat der Synode, eingebettet in die gesellschaftliche Erschütterung nach dem 7. Oktober 2023. Für den Theologen Thorsten Dietz, der die Handreichung verfasst hat, war klar: Wegsehen wäre keine Option gewesen. «Antisemitische Klischees und Bedrohungen wurden in der Schweiz sichtbar. Da mussten wir uns als Kirche fragen, was wir dem entgegensetzen können.»

Die Broschüre stellt fest, dass Judenfeindschaft in Europa und im Christentum keine Randnote der Geschichte ist. Dietz erinnert daran, dass viele Stereotype nicht erst in der Gegenwart entstehen, sondern lange christliche Vorgeschichten haben. Besonders verbreitet seien Vorstellungen, dass das Judentum gesetzlich sei, eine Vergeltungsmoral («Auge um Auge») habe und dass «Pharisäer» als sprichwörtliche Heuchler gälten. Solche Vorstellungen hätten sich tief eingeprägt, sagt Dietz, obwohl sie dem historischen Befund so nicht entsprächen. «Alle ersten Christinnen und Christen waren Juden. Jesus war Jude, Paulus war Jude. Dass im Prozess der Ablösung vom Judentum Feindseligkeiten entstanden, war eine tragische Entwicklung. Wenn wir diese Entwicklungsgeschichte bewusst kennen, wird unser Blick sensibler.»

Theologisch problematisch

Ein wesentliches Anliegen der Handreichung ist deshalb der Umgang mit Bibeltexten. Sie benennt Passagen, die in der Auslegungsgeschichte besonders anfällig für Verallgemeinerungen waren. Dietz nennt das Matthäusevangelium als Beispiel, in dem die Menge vor Pilatus ruft: «Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.» Viele Jahrhunderte lang wurde dieser Vers im Christentum als Schuldzuweisung an die Juden verstanden. Auch die scharfen Worte Jesu im Johannesevangelium, in dem jüdische Gegner als «Kinder des Teufels» bezeichnet werden, hatten nach Dietz in der Wirkungsgeschichte fatale Folgen. «Diese Sätze stehen in einem konkreten innerjüdischen Trennungsprozess. In der Tradition wurden sie oft auf das Judentum insgesamt übertragen. Das ist historisch nicht haltbar und heute theologisch nicht mehr zu rechtfertigen.» Die Handreichung plädiert daher für eine historisch-kritische Lektüre, die Spannungen sichtbar macht, aber nicht pauschalisiert.

Dort, wo man biblische Texte aus dem Kontext reisst, entsteht schnell ein Schwarz-Weiss-Denken: das alte Gesetz hier, die christliche Gnade dort; Jesus als Gegenfigur zum Judentum. Dietz warnt vor dieser vermeintlichen Logik. Wenn Kinderbibeln Jesus als Beschützer von Frauen und Kindern zeigen und ihn von den Juden als Dunkelfolie abheben, entstünden Bilder, die sich im kollektiven Gedächtnis festsetzten. Darum rät die Handreichung dazu, Sprache und Unterricht behutsam zu prüfen, ohne Scheu vor komplexen Narrativen. «Gruppenbezogene Feindlichkeit beginnt dort, wo wir aus anderen ein einheitliches Bild machen», sagt Dietz. «Deshalb braucht es Sensibilität in Predigt und Unterricht – nicht als Zensur, sondern aus Respekt.»

Werkzeug der Reflexion

Die Handreichung versteht sich nicht als Korrekturkatalog, sondern als Einladung zur Weiterbildung und zum Dialog. Sie verweist auf bestehende Gesprächsformate zwischen jüdischen und christlichen Gemeinschaften in Zürich und der Schweiz und möchte Anstösse geben, dieses Wissen tiefer in der Breite zu verankern. Bildung, sagt Dietz, sei ein wirksamer Schutz vor Vorurteilen. Wer das Judentum in seiner Vielfalt kenne, neige weniger dazu, es als geschlossenes Gegenbild wahrzunehmen.

Mit der Publikation setzt die Reformierte Kirche ein sichtbares Zeichen. Die Handreichung ist keine abschliessende Antwort, sondern ein Werkzeug, das Gemeinden befähigen soll, ihre Sprache zu reflektieren, Bibel mit Weitwinkel zu lesen und aufmerksam mit Geschichte umzugehen.

Handreichung

Für eine Kirche ohne Antisemitismus
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