Lange glaubte die Politik in Europa, man könne durch Handel den Frieden sichern. Wie der Krieg in der Ukraine nun zeigt, lag man da falsch.
Carel van Schaik: Die Idee Wandel durch Handel ist nicht schlecht. Länder, die wirtschaftliche Beziehungen pflegen, führen tatsächlich weniger Kriege. Auch zeigen die Statistiken, dass Demokratien weniger Kriege anfangen. Das Problem im Ukrainekrieg ist, Russland ist zwar mit dem Westen wirtschaftlich verbunden, ist aber keine Demokratie. Deshalb kann Putin die «militärische Sonderoperation» ungehindert durchführen
Gehören Aggression und Krieg zur DNA der Menschheit?
Lassen Sie mich zuerst vom Wesen des Menschen reden. Der Mensch wird von einer Psychologie des Krieges bestimmt, die sich sozusagen ein- und ausschalten lässt. Vor allem bei Männern findet sich diese Veranlagung: Wenn sie sich als Gruppe bedroht fühlen und die Emotionen hochkochen, schalten sie reflexartig in den Angriffsmodus. Nach den Anschlägen von 9/11 in den USA zeigte sich dieses Phänomen deutlich: nach dem brutalen Angriff, bei dem tausende Menschen starben, wollten die US-Bürgerinnen und Bürger Vergeltung, riefen nach einem Führer und forderten einen Militärschlag. Diese Psychologie des Krieges nutzen die Autokraten, um die Menschen zu manipulieren. Das hat Hitler getan, das tut Putin. Auch er präsentiert den Krieg gegen die Ukraine als Verteidigung Russlands gegen den amerikanischen Aggressor, der die «Faschisten» in Kiew unterstützt.
Sie sind Zoologe und Anthropologe: Stimmt Friedrich Dürrenmatts Aussage, der Mensch sei ein Raubtier mit manchmal humanen Ansätzen?
Ja und nein. Evolutionsgeschichtlich betrachtet sind wir eine ungewöhnliche Affenart, weil wir uns zu Fleischfressern entwickelten. Unsere Vorfahren waren das nicht. Doch gibt es auch Jäger und Sammler, die sich grösstenteils vegetarisch ernähren. Der Mensch ist nicht notgedrungen ein Raubtier. Das ist nicht so tief in unserer DNA verankert. Sonst könnte man den heutigen Höhenflug des Vegetarismus und Veganismus nicht erklären.
