Herr Zindel, wäre das Jubiläum nicht ein guter Anlass, den Namen «Gott hilft» zu ändern?
Daniel Zindel: Wir haben uns tatsächlich Gedanken dazu gemacht, im Zusammenhang mit unserem neuen öffentlichen Auftritt, und sogar einen Wettbewerb ausgeschrieben. Schlussendlich haben die Mitarbeitenden konsultativ abgestimmt und wollten den Namen behalten. Wir wissen: Er provoziert, er hat auch Widerstände zur Folge. Aber er ist Ausdruck einer langjährigen, starken Marke. Er zeigt den christlichen Hintergrund unserer Arbeit, hat Bekenntnischarakter und löst auch viele gute Gespräche aus.
Was heisst christlicher Hintergrund?
Wir machen explizit theologisch-spirituelle Angebote, zum Beispiel Seelsorge, Beratung und Seminare, die zu hundert Prozent von Spenden finanziert sind. Christlich ist aber auch die innere Haltung bei unserer übrigen Arbeit. Glaube, Hoffnung, Liebe sind wichtige Werte, der Heilige Geist eine Ressource.
Wird im «Gott hilft» missioniert?
Nein.
Wie merkt denn ein Kind die christliche Grundhaltung?
Im Jahresablauf feiern wir christliche Feste, Weihnachten, Ostern, die sind festlich. Vielleicht spüren die Kinder etwas in der Haltung der Mitarbeitenden. Vielleicht suchen sie ein Ritual, ein Gebet in die Nacht bei kleineren Kindern. Aber alle Mitarbeitenden haben unterschrieben, dass sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Kinder respektieren.
Müssen Mitarbeitende religiös sein?
Ja. Wir erwarten, dass Mitarbeitende eine christliche Grundhaltung mitbringen. Darunter verstehen wir weniger die Mitgliedschaft in einer Kirche, bei uns arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Kirchen. Aber sie sollen bereit sein, sich dem Evangelium auszusetzen.
Sie haben eine externe Historikerin die letzten 100 Jahre untersuchen lassen. Dabei ist sie auch auf körperliche und sexuelle Gewalt gestossen. Haben Sie sich mit dem Buch nicht selbst das Jubiläum verdorben?
Wir sind eher stolz, welche Facetten Christine Luchsinger ans Licht gebracht hat: Unsere Gründer haben Enormes geleistet. Unsere Pädagogik hat fast immer der zeitgenössischen Pädagogik entsprochen. Mit wenigen Ressourcen haben wir bis zu 450 Kinder betreut. Wir waren bahnbrechend in der Sozialpädagogik, mit einer eigenen Ausbildungsstätte. Das Buch hat uns attestiert, dass in den hundert Jahren eine permanente Innovationskraft da war.
Warum liest man das nicht in den Medien?
Wir haben von Anfang an gewusst, dass es auch dunkle Kapitel gibt. Sie beim Namen zu nennen und aus Fehlleistungen zu lernen macht einen zu einer reifen Organisation. Ich meine, wir haben uns mit dem Buch ein Geschenk gemacht. Über die negative Berichterstattung einiger Medien möchte ich mich nicht äussern.
Hat Sie etwas überrascht an dem Buch?
Die Einbettung in die Schweizer Sozialgeschichte. In den erzliberalen Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg kam es den Staat viel günstiger, Heime zu betreiben, anstatt einer verwitweten Frau Sozialhilfe für ihr Kind zu zahlen. Das wusste ich so nicht.
Aus Engagement der ehemaligen Heilsarmisten Babette und Emil Rupflin ist heute ein KMU mit 300 Mitarbeitenden geworden. Eine Erfolgsgeschichte?
Ja. Dabei verstehe ich unter Erfolg nicht Shareholder-Value, sondern wir sind professioneller geworden. Ich habe seinerzeit noch für Kost und Logis gearbeitet, heute zahlen wir marktübliche Löhne. Es gab Krisen: Das Werk stand in den Sechzigerjahren kurz vor dem Kollaps. Seinen Erfolg heute verdankt es vielen Menschen, nicht zuletzt auch den Kindern und Jugendlichen. Und es gibt einen nicht verrechenbaren Rest, den ich als göttliche Zugabe bezeichnen würde.
Woran denken Sie?
Immer wieder haben Menschen uns bei grossen Vorhaben gespendet. Oft stellen sich begabte Menschen für uns zur Verfügung. Immer wieder haben sich Krisen als Chance für Wachstum herausgestellt.
Gibt es etwas, das den Erfolg in den nächsten 100 Jahren trüben könnte?
Wir haben vor Kurzem eine Risikoanalyse gemacht, und ich könnte jetzt hundert Risiken von A, wie Amoklauf, bis Z aufführen. Aber ich bin zuversichtlich. Unsere Marke schliesslich heisst «Gott hilft».
