Am 18. Juli brachen die Veranstalter in der Berner Brasserie Lorraine ein Konzert ab. Als Grund wurde genannt, dass sich Menschen im Publikum unwohl fühlten, weil eine weisse Band Reggae-Musik spielte und Bandmitglieder Dreadlocks trugen. «Kulturelle Aneignung» wurde beim Brasserie-Team reklamiert.
Nach dem Bekanntwerden der Geschichte gingen die emotionalen Wellen weitherum hoch. Und jetzt ermittelt gar die Staatsanwaltschaft wegen eines Verstosses gegen die Rassismus-Strafnorm, aufgrund einer Anzeige der Jungen SVP – Rassismus gegen Weisse, notabene.
Die Diskussionen zeigen: Das Thema ist nicht einfach. Und wenn man es auf die christliche Religion bezieht, wird es gar herausfordernd, wie das Interview mit der Theologie-Professorin Katharina Heyden verdeutlicht.
Auch in der christlichen Religion dürfte im Lauf der Geschichte immer wieder kulturelle Aneignung erfolgt sein. Welche Beispiele sehen Sie?
Katharina Heyden: Ja, natürlich, das Christentum ist ohne kulturelle Aneignung gar nicht vorstellbar – wobei ich diesen Begriff erst einmal nur als neutrale Beschreibung verwende und nicht werte. Das Osterfest ist eine kulturelle Aneignung des jüdischen Passafestes, jedes Abendmahl ist im Grunde eine christliche Variation des Passamahls. Weihnachten ist eine Aneignung des römischen Festes des Sol Invictus, der unbesiegbaren Sonne, und die christliche Heilige Schrift ist zum grössten Teil eine Aneignung des Judentums. Nicht nur, weil die jüdische Bibel als «Altes» Testament in den Kanon übernommen wurde, sondern auch weil die neutestamentlichen Schriften voll von Aneignungen jüdischer Prophetie sind.
Was für kulturelle Aneignungen gibt es im Kleineren?
Eine explizite Aneignung ist zum Beispiel, dass Paulus den Leuten in Athen erklärt, dass ihr «unbekannter Gott» eigentlich der christliche Gott ist (Apg 17). Aneignungsprozesse ziehen sich durch die gesamte christliche Kulturgeschichte. Selbst noch während der Kreuzzüge waren Christinnen und Christen offen für Einflüsse aus der muslimischen Kultur, die sie doch eigentlich bekämpften. Das ist auch nicht verwunderlich, denn Aneignung ist eine wesentliche Triebkraft jeder Kultur. Und sie ist grundsätzlich ambivalent, weil sie immer mit Gewinn und Gefahr einhergeht.