Stefan Wälchli ist ein friedlicher Mensch. Engagiert erzählt er von seiner Arbeit als Pfarrer in Worb. Er ist einer jener Seelsorger, die schon viel Aufwühlendes erlebt und viel Trauriges begleitet haben.
Auf der Suche im letzten Herbst nach der inhaltlichen Ausrichtung der Predigtreihe 2016 in den Kirchen Worb und Rüfenacht habe sich das Thema Gewalt regelrecht aufgedrängt, sagt Wälchli. «Die Menschen waren schockiert von den blutigen Anschlägen in Paris. Oft hörte ich die Frage, warum Gott sowas zulasse. Einige stellten auch die Religion ganz grundsätzlich in Frage, weil sie doch mehr denn je Gewalt auslöse.» So war es für das Pfarrteam klar: Die Predigtreihe muss sich diesen Fragen stellen und biblische Texte dazu unter die Lupe nehmen (Themen und Termine s. unten).
Verordnete Gewaltlosigkeit und legitimierte Gewalt. Die Verknüpfung von Gewalt und Religionen ist nicht erst seit dem «Heiligen Krieg» der Islamisten ein Thema, die Kreuzzüge der Christen waren nicht minder blutig. Die Religionshistorikerin Karen Armstrong schreibt in ihrem Buch «Im Namen Gottes. Religion und Gewalt», die meisten grossen Religionen hätten einerseits Gewaltlosigkeit zum Ziel, andererseits rechtfertigten sie Gewaltanwendung, wenn es darum gehe, die eigene Gruppe zu stabilisieren oder mehr Einfluss und Macht zu gewinnen.
Und so haben alle ihre Friedensstifter wie Ghandi oder Martin Luther King – und ihre Kriegstreiber wie Papst Urban II., der zum ersten Kreuzzug aufgerufen hatte. Oder Osama Bin Laden, der die Welt mit seinen Anschlägen nachhaltig veränderte.
Gott ist die Liebe. Stefan Wälchli hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Programm zusammengestellt. Er übernimmt drei der geplanten Gottesdienste. Über biblische Texte, die sich mit Gewalt, Wut und Zerstörung befassen, würde kaum gepredigt, sagt Wälchli. «Vor allem nicht über jene aus dem alten Testament, die von einem strengen und strafenden Gott berichten.» Die Kirche tue sich schwer mit diesem Gottesbild: «Heute will man nur noch den liebenden Gott. Die andere Seite blendet man am liebsten aus.»
Gott ist der Richter. Wälchli hat für seine erste Predigt die Beschreibung des Weltgerichts aus dem Matthäus-Evangelium gewählt. Dort erscheint Gott als Richter, der die Guten belohnt und die Schlechten ihrer gerechten Strafe zukommen lässt: «Und alle Völker werden sich vor ihm versammeln, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken.» (Matthäus 25,32)
Wälchli ist fasziniert und irritiert von diesem Bild und macht den Zusammenhang zur Aktualität. So liberal unsere Gesellschaft derzeit auch sein möge, der Ruf nach Gerechtigkeit sei deutlich hörbar. «Die öffentliche Meinung ist oft gnadenlos. Viele prangern die sogenannte Kuscheljustiz an und fordern von den Behörden ein hartes Durchgreifen. Gott als Richter ist gefragt. Und die Durchsetzung seiner Entscheide haben immer mit Gewalt zu tun.»
Wer richtet, bestimme über das Wohlergehen des Gerichteten. So auch, wenn Gott die einen in die Hölle und die andern in den Himmel schicke. «Und diese werden in die ewige Strafe gehen, die Gerechten aber ins ewige Leben.» (Matthäus 25, 46)
Gott ist widersprüchlich. Das Worber Pfarrteam stellt sich also mit dieser Predigtreihe der ganzen Bandbreite des Themas Gewalt und Religion. Und es will die Widersprüchlichkeit unserer Gottesbilder und unserer inneren Haltungen aufzeigen. «Wer Gewalt lediglich als Problem der ‚Andern’ sieht, der anderen Menschen, der anderen Religionen, der anderen Kulturen, blendet Wesentliches aus. Wir wollen uns in unseren Predigten mit dem Thema bewusst auseinandersetzen, Fragen stellen und hoffentlich auch die eine oder andere Antwort finden.»
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «ref.ch» und «Interkantonaler Kirchenbote».
