Ihr Roman «Monster» handelt von einem israelischen Historiker, der Gruppen nach Auschwitz begleitet. Besonders geblieben ist mir eine Szene, in der junge Israelis Fotos von Nazi-Offizieren bestaunen – fast als ob sie sie für Ihre Stärke bewunderten. Ist das Handeln Israels auch Ausdruck dieses Traumas, nie mehr Opfer sein zu wollen, sondern auf der Siegerseite zu stehen?
Es geht nicht ums Siegen, sondern ums Überleben. Israels Antwort auf die Terrorattacke ist sehr hart, und dieser Krieg ist eine Tragödie. Ich bin für den Frieden, aber ich bin nicht suizidär. Wenn wir Schwäche zeigen, ist es für uns das Ende. Wir können keine Progrome oder Massenmord tolerieren. Wir wurden angegriffen, der Krieg wurde uns aufgezwungen, aber als Humanist und Linker ist dies ein Albtraum für mich und ich habe auch grosses Mitleid mit den Menschen in Gaza.
Angesichts der humanitären Situation in Gaza werden immer mehr israelkritische und auch antisemitische Stimmen laut. Was ist Ihre Antwort darauf?
Es ist absolut in Ordnung, Israel zu kritisieren, aber die Leute sollten fair sein und nicht vergessen, was am 7. Oktober passiert ist. Und sie sollten nicht die Geschichte dieses Konflikts vergessen. Die Schuld liegt nicht nur bei einer Seite. Israel hat einige wichtige Versuche unternommen, Frieden mit den Palästinensern zu erreichen – angefangen schon vor der Staatsgründung, als die Juden 1947 die UNO-Zweistaatenlösung akzeptierten, die arabische Seite aber nicht und es zum ersten Krieg kam. Der zweite wichtige Versuch waren die Oslo-Friedensgespräche in den 1990er Jahren, in der Israel die PLO anerkannte. Es endete mit palästinensischen Selbstmordattentätern. Premierminister Ehud Barak machte territoriale Zugeständnisse für einen palästinensischen Staat, kurz darauf begann die 2. Intifada. Das Hauptproblem liegt darin, dass Kritik an Israel oft mit dem traditionellen Antisemitismus gekoppelt ist. Europäische Freunde haben mir versichert, dass es diesen Antisemitsmus in Europa gibt. Er ist zwar oft versteckt, aber an vielen Orten kulturell und traditionell verankert. Das ist abscheulich.
Sehen Sie denn überhaupt irgendeine Chance auf Frieden?
Es ist eine riesige Tragödie, dass zwei Völker in einem kleinen Land nicht zusammenleben können. Diese Idee ist gescheitert, weil beide Völker ein unterschiedliches Narrativ haben. Leider spielt die Religion dabei eine miese Rolle. Ich bin nicht sehr optimistisch, aber ich habe den Glauben an die Menschheit noch nicht verloren.
Ihr Vater war ein sehr bekannter Politiker und Friedensaktivist, der in Israel auch nach seinem Tode noch sehr präsent ist. Was würde er zur jetzigen Situation sagen?
Es würde ihm das Herz brechen. Er hat sein ganzes Leben dem Frieden gewidmet und hat dafür einen hohen politischen Preis bezahlt. Aber wahrscheinlich wäre er nicht überrascht.
Yishai Sarids Bücher erscheinen auf Deutsch im Verlag Kein & Aber, sein neuester Roman ist «Schwachstellen».