Vor 500 Jahren hat die katholische Kirche den Augustinermönch Martin Luther exkommuniziert. Er wäre hingerichtet worden. Wie würde dies heute aussehen?
Bischof Felix Gmür: Heute würde man ihn wohl nicht einfach exkommunizieren, man sucht den Dialog. Zudem hat heute eine Exkommunikation keine politischen Auswirkungen mehr.
War Luther ein Reformkatholik?
Martin Luther war stark im auslaufenden Mittelalter verankert. Die Gesellschaft und die Kirche befanden sich wie heute im Umbruch. Die Kirche hatte damals grosse Schwierigkeiten. Luther, der im Spätmittelalter sozialisiert war, versuchte in die Zukunft zu schauen. Martin Luther war modern, indem er auf sein eigenes Gewissen so viel Wert legte.
Warum endete der Glaubensstreit in Religionskriegen? War es eine Frage der Macht?
Ja, wenn man Macht als Deutungshoheit versteht. Das Christentum war damals neben dem Judentum die einzige Religion in Europa und eine politische Macht. Religion und Politik waren eng miteinander verwoben. Das führte zu den Religionskriegen. Man sollte nicht übersehen, dass diese Kriege auch eine Konsequenz der Reformation waren. Die Folgen waren für die Bevölkerung in Europa katastrophal.
Schlimm finde ich, dass sich die Kirchen damals gespalten haben. Heute gibt es verschiedene Kirchen, die sich beide auf Jesus Christus, den Auferstandenen, berufen. Sie gründen auf dem Zeugnis der Heiligen Schrift und finden trotzdem nicht zusammen. Im Gegenteil: Mit der Zeit entwickelten sie sich sogar auseinander. Diese Konsequenzen schmerzen mich.
Sie sind in Luzern aufgewachsen, in einem katholischen Kernland. Hatten Sie als Kind Kontakt zu Reformierten?
Nein, ich ging nie mit einem reformierten Kind zur Schule.
Und sonst?
Ich habe einzelne Reformierte gekannt. Die waren reformiert, das war’s. Das war kein Thema.
Vor kurzem ist der Theologe Hans Küng gestorben. Der Luzerner war Kirchenkritiker und bezeichnete sich als «evangelischer Katholik».
Ich habe ihn gut gekannt und sicher einmal im Jahr getroffen. Hans Küng wurde in der Kirche vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil sozialisiert, die es heute nicht mehr so gibt.
Wie würden Sie seine Theologie charakterisieren?
Das Vertrauen in die Gnade Gottes hat ihn sein ganzes Leben hindurch getragen. Er wollte die Kirche für die verschiedenen Arten, als Christ zu leben, öffnen. Deshalb engagierte er sich so stark in der Ökumene. Er war überzeugt: Wenn wir ein gemeinsames Fundament haben, sollten wir auch zu einem gemeinsamen Ausdruck des Glaubens finden.
Hat Hans Küng dazu beigetragen, dass die reformierte und die katholische Kirche aufeinander zugegangen sind?
Ja, dazu hat er seinen Beitrag geleistet, vor allem mit seiner Dissertation über die Rechtfertigungslehre von Karl Barth, wo er danach fragte, was die Kirchen trennt und verbindet. Die später in Augsburg von Lutheranern und Katholiken unterzeichneten Dokumente zur Rechtferigung bestätigen, dass die beiden Kirchen mehr verbindet als trennt. Küngs zweites Buch hiess «Konzil und Wiedervereinigung ». Das zeigt, Küng verfolgte das Ziel, dass die Kirchen wieder zusammenkommen sollten.
