Vorfreude oder wenn die ersten Kirschen blühen

Als ich heute, etwas früher als geplant, von der Lesereise heimkam, war das Haus leer. Renata, meine Frau, nahm das Telefon nicht ab. Ich fand sie schliesslich im noch schneebedeckten Gar­ten. Sie hatte das Baby umgebunden und stützte eine Leiter, die in
der Krone des alten Kirschbaums lehnte. Bigna kletterte darauf herum und hantierte mit der Baumschere. «Oh, du bist schon da», sagte Renata, während Bigna rief: «Geh weg, das gilt nicht, du verdirbst alles!»

Das war nicht die Begrüssung, die ich mir ausgemalt hatte. Ich fuhr Renata an: «Bist du verrückt? Bigna kann sich den Finger abschneiden oder vom Baum fallen. Ausserdem schneidet man jetzt keine Kirschbäume.» «Geh endlich», rief Bigna, und Renata erklärte: «Ich habe Chatrinas Erlaubnis, Bigna ist geschickt mit Scheren. Und solange Schnee liegt, fällt sie weich. Jetzt komm her und küss mich.»

Ich küsste sie und das schlafende Baby, doch halbherzig. «Und wie hast du Chatrina gefragt?», bohrte ich, «für mich warst du nicht zu erreichen.» «Ach, spinnt das Telefon wieder?», meinte sie nur fröhlich, dann lachte sie auf: «Sag nur, du bist eifersüchtig!» Inzwischen war Bigna von der Leiter gestiegen und drückte mir missmutig die abgeschnittenen Kirschzweige in die Hand: «Da, jetzt hast du die ganze schöne Überraschung kaputt gemacht.» Renata erklärte: «Wir wollten deinen Schreibtisch damit schmücken, Bigna lag mir deswegen in den Ohren, seit du weggefahren bist. Sie hat auch etwas gemalt.»

Ich wurde rot und zog für Bigna ein kleines Schraubenzieherset aus der Tasche, das ich eigentlich für mich gekauft hatte. Bigna bedankte sich halbherzig. «Dreh lieber eine Runde», bat mich Renata und nahm mir die Zweige wieder ab, «Bigna und ich machen die Überraschung fertig, danach kommst du einfach nochmals nach Hause.» «Oh ja», rief Bigna und strahlte, «du wirst staunen!» Während sie im Haus verschwanden, besichtigte ich im Hof die Schäden, die das Schneräumfahrzeug den Winter hindurch verursacht hatte, schämte mich für meine Eifersucht und freute mich, dass es nun auch hier oben Frühling wurde.