Sie sind gleich zu Beginn des Krieges in die Schweiz gekommen. Erinnern Sie sich an diesen Moment?
Vladyslav Shmelkov: Ich war auf See, auf einem Schiff mit internationaler Crew. Eines Morgens lasen wir in den Telegram-Nachrichten: Krieg. Ein Schock. Ich wusste sofort: Ich kann nicht zurück, ich muss schnell reagieren. Für meine Familie war es gefährlich. Ich musste irgendwo neu anfangen und Sicherheit aufbauen. Da kam ich direkt in die Schweiz.
Sie haben kürzlich an der «Tour de Suisse der Menschlichkeit» in St. Gallen teilgenommen und dort Ihr Lieblingsbuch vorgestellt. Warum Hermann Hesse?
Siddhartha habe ich auf Russisch gelesen und war sogleich fasziniert davon. Das Buch erzählt von Suche, Brüchen, Geduld. Es hat mir geholfen, darauf zu vertrauen, dass nicht alles sofort gelöst sein muss, dass vieles ein Prozess ist – auch die Integration in ein neues Land. Bücher sind wie Freunde: Sie kommen manchmal genau im richtigen Moment.
Sie stammen aus Cherson. Wie hat Ihre Familie die ersten Wochen des Krieges erlebt?
Sehr schwierig. Mein Vater arbeitet in einer staatlichen Behörde, meine Mutter ist Psychologin bei der Polizei – sie waren durch ihre Arbeit sehr exponiert. Die Angst um sie war und ist noch immer gross. Es war zunächst unsicher, ob sie bleiben können oder fliehen müssen. Zum Glück sind sie bis heute unversehrt, obwohl sie geblieben sind.
Wie war für Sie der Anfang in der Schweiz?
Ich kam mit fast nichts. Zuerst war da nur Unsicherheit. Aber das System hat mir geholfen, die Flüchtlingshilfe und vor allem auch die Hilfe, die mir das Heks zukommen liess, war sehr strukturiert. Eine Gastfamilie nahm mich auf – sie sprachen Englisch und Französisch, so konnte ich mich verständigen. Deutsch habe ich erst später gelernt.
Sie haben dann an der Ostschweizer Fachhochschule studiert. Wie kam es dazu?
Ich bin eigentlich Marineingenieur. Das passt in einem Binnenland nicht direkt. Aber ein Professor hat sich meine Unterlagen angeschaut und gesagt: «Versuch es.» Mit Unterstützung des Programms HEKS MosaiQ, das geflüchtete Akademikerinnen und Akademiker beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt begleitet, konnte ich ein Masterstudium in Business Engineering beginnen. Das war ein Wendepunkt. Entscheidend war aber noch etwas anderes.
Was denn?
Das Zugticket. Mobilität war mein Gamechanger. Ich konnte nach Zürich fahren, an Vorlesungen teilnehmen, Menschen treffen. So kam ich in Kontakt mit der Kultur, konnte Freundschaften knüpfen. Wer nur im Dorf bleibt, hat es schwer. Integration braucht Orte, an denen man mitmachen kann.
Die «Tour de Suisse der Menschlichkeit» will Klischees überwinden. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt?
Sehr positiv. Menschen hören einander zu, sie begegnen sich auf Augenhöhe. Man sieht nicht nur den «Flüchtling», sondern die Person mit ihrer Geschichte. Das ist genau das, was Integration ausmacht.
Sie suchen derzeit eine Stelle. Wie läuft es?
Ich schreibe viele Bewerbungen – über hundert schon. Es ist nicht einfach. Vielleicht verstehen die Leute meinen Hintergrund nicht: Bachelor aus der Ukraine, Master aus der Schweiz, Erfahrung auf Schiffen. Für manche klingt das fremd. Aber ich bleibe dran.
Was wäre Ihr Traumjob?
Ich möchte in die Industrie, zu Firmen wie Siemens oder Bosch, in Projekt- oder Produktmanagement. Dort kann ich meine technische Ausbildung und mein betriebswirtschaftliches Wissen verbinden.
Wie blicken Sie in die Zukunft der Ukraine?
Vorsichtig optimistisch. Es braucht Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, Investitionen. Viele Menschen sind müde, aber sie wollen aufbauen. Mehr Orientierung Richtung Europa wird wichtig sein. Wenn ich hier Erfahrungen sammeln kann, möchte ich später etwas zurückgeben.
Was raten Sie Menschen, die neu in die Schweiz kommen?
Dem System vertrauen, Deutsch lernen – besser, als ich es am Anfang getan habe. Und vor allem: probieren, probieren, probieren. Man muss rausgehen, Kontakte knüpfen, nicht aufgeben.