Porträt 13. Dezember 2023, von Mirjam Messerli

Seine Bilder werden Teil der Geschichte

Fotografie

Alex Kühni ist Kriegsfotograf und Lehrer. Den Spagat zwischen den zwei Welten schafft er mit klarer Trennung und Empathie.

Alex Kühni lebt in zwei Welten: In der einen ist der 41-jährige Berner Kriegsfotograf, in der anderen Dozent an der Schule für Gestaltung. Im Krieg erlebt er Gewalt, Zerstörung und Tod aus nächster Nähe mit, in der Schweiz unterrichtet er junge Menschen in Fotografie.

Mit Alex Kühni über die eine Welt zu sprechen, ist einfach. Er erzählt ausführlich über seine Einsätze in den Krisengebieten in der Ukraine, im Irak, in Gaza, Syrien, im Libanon. Angesprochen auf den friedlichen Schweizer Alltag und vor allem auf sein Privatleben, winkt er rasch einmal ab: «Meine Arbeit ist spannend, aber als Person bin ich nicht interessant.» Im Gespräch wird er später eine mögliche Erklärung für diese Zurückhaltung liefern: Der ständige Wechsel zwischen Krieg und Frieden sei nur machbar, weil es ihm gelinge, «diese beiden Welten strikt voneinander zu trennen».

Die Würde der Toten

An der «Swiss Press Photo» sind Kühnis Bilder aus der Ukraine ausgestellt. Mit ihnen gewann er den Preis als Pressefotograf des Jahres 2023. Auf einem der Bilder liegen im Vordergrund, in der Unschärfe, tote Soldaten auf einer Strasse, die durch ein Waldstück führt. Kühni erinnert sich, wie er mit seinem lokalen Begleitteam diesen Ort erreichte: «Die Russen waren auf dem Rückzug. Wir wurden beschossen. Ich musste auf dem Asphalt bleiben, weil das Gelände neben der Strasse vermint war. Ich hatte nicht viel Zeit und musste schauen: Woher kommt das Licht? Wie muss ich fotografieren, damit die Toten zu sehen sind, nicht aber abgetrennte Körperteile?»

Kühnis Fotos wirken roh, brutal, sie sind blutig, aber sie lassen den abgebildeten – oft toten – Menschen oder Tieren ihre Würde. Man glaubt Kühni, wenn er sagt, dass er versuche, ein neutraler Beobachter zu bleiben und sein Mitgefühl zu behalten. Unabhängig davon, ob er eine Ukrainerin in ihrem zerbombten Wohnhaus zeigt oder eben tote russische Soldaten auf einer Strasse.

Ich bin privilegiert. Ich kann zurück in meine sichere Heimat reisen.
Alex Kühni

In seinem Kopf bleiben die Bilder gespeichert – und auch die Geräusche und Gerüche dazu. Damit könne er gut umgehen, sagt Kühni. «Ich dokumentiere das, was im Krieg passiert. Darauf kann ich mich konzentrieren. Das schützt mich vor zu vielen Emotionen.» Diese Erlebnisse bespricht er fast ausschliesslich mit anderen Presseleuten oder seinem Team vor Ort. Mit Familie und Freunden daheim teilt er bewusst den friedlichen Teil seines Alltags.

Die Frage, ob seine Liebsten Angst um ihn hätten, findet Alex Kühni unangebracht. Vor allem deshalb, weil er auch an der Front noch in einer privilegierten Lage sei. «Ich kann jederzeit zurück in meine sichere Heimat reisen.»

Wir haben in der Schweiz den geopolitischen Lottosechser gezogen.
Alex Kühni

Und diese Heimat hat er durch seine Einsätze noch mehr schätzen gelernt. «Wir haben Frieden, Wohlstand und eine stabile Demokratie.» Seinen Studentinnen und Studenten versucht er deshalb nicht nur das Fachliche beizubringen. «Ich ermutige sie, in die Welt hinauszugehen und dabei zu erfahren, dass wir in der Schweiz den geopolitischen Lottosechser gezogen haben.»

Nicht nur hinter seiner Kamera, auch im Gespräch ist Kühni fokussiert. Nur einmal lässt er sich kurz ablenken: Vor dem Fenster der Cafébar schleicht eine Katze vorbei und setzt sich an die Sonne. «Ich mag Katzen. Überhaupt Tiere», sagt Kühni. Aber sein Job sei leider mit Haustieren nicht kompatibel.

Wohin ihn der nächste Einsatz führt, ist offen. Nach Gaza wäre er gern gereist. Das sei aber im Moment nur mithilfe der israelischen Armee möglich. «In so einem Pressetross sind kaum Bilder machbar, die nicht in irgendeiner Form gesteuert sind», sagt er. Weshalb zieht es ihn immer wieder in die Welt des Krieges? Kühni denkt länger nach und sagt dann: «Weil dort Geschichte geschrieben wird, und meine Bilder werden ein Teil davon.»