Meinung 01. Oktober 2023, von Veronica Bonilla Gurzeler

Soll noch jemand sagen, es geschähen keine Wunder

Schlusspunkt

Wer in die Kirche eintritt, schwimmt gegen den Strom. Redaktorin Veronica Bonilla erzählt, wie sie sich dabei gefühlt hat.

Wenn ich erzähle, dass ich kürzlich wieder in die evangelisch reformierte Kirche eingetreten bin, werde ich oft gefragt: «Wie geht das? Musstest du eine Prüfung ablegen?» Ich kann beruhigen. Weder die Zehn Gebote noch das Unservater werden abgefragt. Bloss online ein Formular mit den Personalien musste ich ausfüllen, ausdrucken und abschicken.

Nach ein paar Tagen erhielt ich eine E-Mail von der Zürcher Johan-neskirche, zu der ich gehören würde. Pfarrerin Tania Oldenhage bedankte sich für meine Post. Sie hiess mich «herzlich willkommen» und lud mich zum Kaffee ins Kirchgemeindehaus ein. Ich fand ihren Ton und die Einladung nett und sagte spontan zu, neu-gierig, was mich erwarten würde.

Zuerst zeigte mir die Pfarrerin das 125-jährige Kirchenschiff, erzählte von seiner Geschichte und wie die Räume heute, wo nur noch einmal im Monat ein Sonntags-gottesdienst stattfindet, genutzt werden. Ich konnte mir vor-stellen, bald eine Dienstagsvesper oder den Meditationskreis zu besuchen. Im renovierten Foyer des Kirchgemeindehauses, das einen Hauch 70s-Chic atmet, sprachen wir über Familie und Beruf. Wir fanden heraus, dass wir uns beide für das Thema Geburt in-teressierten, und tauschten unser Wissen aus, sie die theologische, ich die medizinhistorische Sicht.

Wir hätten noch lange weiterreden können, doch irgendwann stellte Tania Oldenhage sie, die unvermeidliche Frage nach dem Warum meines Kirchen-Wiedereintritts. Eine Antwort könnte lauten: Ich schwimme gern gegen den Strom. Seit vielen Jahren treten die Leute scharenweise aus der Kirche aus, Eintritte jedoch haben Seltenheitscharakter. 333 waren es 2022 im Kanton Zürich.

Auf dem Heimweg fühlte ich mich ein bisschen wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn, in dem Jesus erzählt, dass ein Kind jederzeit zu seinem liebenden Vater zurückkehren kann, egal wie lange es sich von ihm abgewandt und auf eigene Faust die Welt erkundet hat. Das ehrliche Interesse, das mir Tania Oldenhage entgegengebracht hatte, und ihre Offenheit liessen mich tief innen spüren, dass ich willkommen war in der Kirche. Als Freigeist hatte ich immer eine sichere Distanz zu allem gehalten, was auf irgendeine Art nach Verein(-nahmung) aussah. Es überraschte mich deshalb selbst, wie sehr ich mich plötzlich freute, dazuzugehören. Zur reformierten Kirche!

Soll noch jemand sagen, es geschähen keine Wunder.