Der warme Tropenregen empfängt ihn. Beim Verlassen des Flughafens von Medellín hält Sebastián kurz inne, nimmt seine Sonnenbrille ab, atmet tief ein: «Das riecht nach Heimat.» Seine Brille hat Sebastián auf dem ganzen Flug über den Atlantik nie abgenommen. Rund 9000 Kilometer weiter östlich, in Zürich, ist er abgehoben, und jetzt steht er im Nordwesten Kolumbiens, in der Millionenstadt Medellín auf 1500 Metern Höhe, umgeben vom mittleren Bergzug der Anden. Es ist Ende November, als er die Heimat betritt.
Der 22-Jährige sucht Antworten auf offene Fragen in seinem Leben. «Wenn du an deine Mutter denkst», sagte Sebastián einmal, «erinnerst du dich, wie sie dich liebevoll in den Arm genommen hat, oder?» Er habe keine solche inneren Bilder, es herrsche ein Vakuum im Kopf. Als er zwei Jahre alt war, wurde er zur Adoption freigegeben.
Verheerender Drogenkrieg
Sebastián sucht nach seiner leiblichen Mutter. Sein Vater wurde vermutlich 2002 im Drogenkrieg getötet. Das berüchtigte Drogenkartell um Pablo Escobar hatte Kolumbiens zweitgrösste Stadt damals fest im Griff. Vor 20 Jahren war Medellín weltweit die Metropole mit der höchsten Mordrate.