Sprache ist Ausdruck des Seelenlebens

Surselva

Martin Fontana aus Flims ist neuer Ehrendoktor der Universität Zürich. Seit fünfzig Jahren übersetzt er die Bibel ins Surselvische.

Zurück zu den Wurzeln zog es Martin Fontana nach seiner Pensionierung 1994. Insgesamt 36 Jahre war er Pfarrer, zuletzt in Felsberg, bevor er in sein Elternhaus in Flims heimkehrte. Fontana erinnert sich gut an die Nachkriegsjahre: «Bis zu zehn Kinder, oft Flüchtlinge aus den Nachbarsländern sassen damals am Familientisch.» Die früh verwitwete Mutter war ausgebildete Säuglingspflegerin und leitete zu Hause ein Kinderheim. Damit sicherte sie sich und ihren zwei Söhnen die Existenz. Den zweisprachig aufwachsenden Primarschüler – die Mutter war Zürcherin, weshalb surselvisch und deutsch gesprochen wurde – faszinierte das Sprachengewirr am Familientisch. «Ich wollte alles verstehen und Sprachen lernen.»

Vogelgezwitscher im GartenMartin Fontana begann, Romanistik und Theologie zu studieren. Das Interesse an der Theologie entfachte seine Mutter in ihm. «Ihr tiefer Glaube half ihr nach dem frühen Tod unseres Vaters durch die schwierigen Zeiten und gab uns Kindern Halt und Boden.» Während seiner Studien in Zürich, Basel, Marburg und Berlin entwickelte er ein besonderes Interesse für altorientalische Sprachen, weshalb er die Romanistik an den Nagel hing und sich neben den Religionswissenschaften insbesondere der Orientalistik zuwandte. Während seines ersten Gemeindepfarramtes in Castrisch und Riein besuchte er mit einstigen Kommilitonen wieder Vorlesungen in Orientalistik an der Uni Zürich. «Wir hatten einen ausgezeichneten Dozenten. Wöchentlich kam er von Basel nach Zürich. Seine Seminare hielt er nicht an der Uni, sondern frühmorgens im Pfarrhausgarten. Wir büffelten Ugaritisch, Akkadisch und lernten Keilschrift. Über uns zwitscherten die Vögel.»

Martin Fontana spricht angenehm leise und klar. Die Sätze fallen druckreif. «Sprache», so Fontana, «ist immer auch Ausdruck des Seelenlebens.» Schon als Jugendlicher schrieb er Gedichte. Meist in Surselvisch, seiner «Herzenssprache», wie vor ihm schon sein Vater, der in der Surselva ein bekannter Schriftsteller war. Gerade die Literatur, so Fontana, spielt eine wichtige Rolle für die Kultivierung und das Überleben einer Sprache. In Castrisch und Riein stiess Fontana in den damals noch benutzten romanischen Bibeln, die sich seit dem frühen 18. Jahrhundert sprachlich kaum verändert hatten, neben einem altertümlichen Romanisch, oft auf viele deutsche oder latinisierte Wörter

. Der Begriff Zöllner beispielsweise war simpel mit «ils Zöllners» übersetzt, da es in der Gegend früher keine Zöllner gab. Heute gibt es dafür in der nun welt­offeneren Surselva den Begriff «il dazier». Zudem gab es sprachliche Unterschiede innerhalb der Konfessionen und ihren ureigenen Übersetzungen. Vor allem die Bücher des Alten Testaments seien für heutige Hörer und Leser kaum noch verständlich gewesen.

Geschichte geschriebenZusammen mit einem katholischen Kollegen begann Fontana 1968 im Auftrag des reformierten Kolloquiums Ob dem Wald und des katholischen Dekanats Surselva mit der Neuübersetzung einer ökumenischen romanischen Bibel. Und schrieb damit Bündner Kirchengeschichte: Die erste ökumenische Bibel innerhalb des romanischsprachigen Raums war geboren. Einst einer der jüngsten Mit­arbeiter in der Übersetzungskommission, ist er heute der älteste. «Übersetzer», so Fontana, «brauchen sprachliches Wissen, Weitblick und Empathie, um einen Text volksnah und trotzdem originalgetreu zu übersetzen.» Jede Art von Auslegung und Interpretation wird vermieden. «Nicht immer einfach für Pfarrer», schmunzelt Fontana. Zurück zum Ursprung und trotzdem verständlich für jedermann lautet das einzige Gebot.

Übersetzung heute - Chancen und Probleme

Noch fehlen die Bücher Mose sowie die Bücher Josua bis Ester des Alten Testaments, bis die «Bibla ecumena romontscha» komplett übersetzt

ist. Dafür rechnet Martin Fontana, 84, mindestens weitere zehn Jahre Arbeit ein. Über die Schwierigkeiten und Chancen der Übersetzungsarbeit heute diskutiert Martin Fontana anlässlich eines Werkstattgesprächs am 4. Juni, 18 Uhr, im B 12 in Chur mit dem Zürcher Alttestamentler Thomas Krüger sowie mit dem Bündner Kirchenhistoriker Jan-Andrea Bernhard. Buch: Martin Fontana, «Zwischen den

Flügeln der Zeit», Somedia, 2018