Die grosse Trauer im kleinen Kreis

Beisetzungen

Wegen der Pandemie gibt es weniger Abdan­kungsfeiern. Ein wichtiger Teil des Trauerprozesses falle so weg, sagen Pfarrer und Bestatter. Aber es fördere auch neue Formen.

Es scheint ein wenig paradox: Das neue Corona-Virus tötet Menschen, aber Abdankungsfeiern gibt es weniger. «Ich habe den Eindruck, dass die Zahl der Beerdigungen seit dem vergangenen Frühling zurückgegangen ist», sagt Daniel Hubacher, Pfarrer in der Stadtberner Kirchgemeinde Nydegg. Während des Lock­down 2020 habe es wochenlang kei­ne einzige Beerdigung gegeben.

Ein Grund dafür sei wohl ein Kommunikationsproblem gewesen, sagt Hubacher: «Viele haben angenommen, dass das Versammlungsverbot auch für Abdankungsfeiern gelte.» Abgesehen davon habe die aktuelle Situa­tion einen bereits zuvor bestehenden Trend verstärkt: den zur Reduk­tion und Einfachheit, zu ­einer Beerdigung lediglich auf dem Friedhof, am Grab.

Bitte die «Corona-Variante»

Der Pfarrer schätzt, dass das sogar vermehrt Kirchenferne ansprechen könnte: Ohne Gottesdienst, Musik und Gesang falle es wohl leichter, die Beerdigung kirchlich vorzunehmen. «Eine Kollegin in Worb erhielt im vergangenen Sommer Anfragen, ob sie weiter­hin die ‹Corona-Variante› anbieten könne.»

Doch insgesamt empfindet der Berner Seelsorger das Abspecken des  traditionellen Abschieds­zere­mo­niells als Verlust. «Für den Prozess des Abschieds bedaure ich es, wenn der Kreis eingeschränkt und die Formen reduziert werden. In einer halben Stunde am Grab habe ich weniger Gestaltungsmöglichkeiten, um der Trauer und der Hoffnung Raum zu geben.» 

Die Situation verpflichtet uns noch mehr, die seelsorgerliche Begleitung weiter zu pflegen.
Daniel Hubacher, Pfarrer Nydegg-Kirche in Bern

Dass weniger Leute kommen dür­fen und das gesamte Ritual verkürzt ist, bedauert auch der Bestatter Dominic Zürcher vom Bestattungsdienst Thomas Rubin AG in Thun. Er ist überzeugt: «Für den Trauerprozess ist es wichtig, dass jene teilnehmen können, die das wollen.» Auch die Maskentragpflicht empfin­det er bei der Trauerverarbeitung hinderlich. Mit der Gesichtsverhüllung gehe ein wichtiger Teil des Abschieds verloren.

Im Übrigen bestätigt er die Beobachtung von Daniel Hubacher, dass viele Leute mit der Abdankung warten würden, «bis das Ganze vorbei ist». Oft werde einfach eine Kremation oder Beisetzung gemacht und die Abdankung auf später verschoben – oder dann gleich darauf verzichtet.

Trend zum Verkleinern

In Langnau im Emmental hingegen scheint das nicht der Fall zu sein. Die Zahl der Abdankungsfeiern sei in den letzten Monaten nicht anders gewesen als während der letzten 30 Jahre, sagt Pfarrerin Kathrin van Zwieten im Namen des Pfarrteams der reformierten Kirche. Es sei im Moment aber noch reichlich früh, jetzt schon Trends auszumachen oder Schlüsse zu ziehen.

Immerhin stellt auch das Lang­nauer Team einen gewissen Trend zur Privatisierung der Trauerfeiern fest. Sie fänden vermehrt im en­gen Familienkreis statt, sei es aus Vorsicht oder in Einklang mit den Bestimmungen zur Corona-Situation, sagt van Zwieten. «Grundsätzlich begegnen wir Trauerfamilien aber immer individuell und bedürfnisorientiert, Trends hin oder her.» Das würde ohne Corona ebenso laufen. Und auch in Zukunft soll gepflegt werden, was bisher schon wichtig war: «Wachsam bleiben, na­he bei Gott und den Menschen.»

Nur die zweitbeste Lösung

Letzteres bekräftigt auch Daniel Hubacher: «Die Situation nimmt uns noch mehr in die Pflicht, die Beziehung zu den Angehörigen, die seelsorgerliche Begleitung weiter zu pflegen.» Es zwinge die Pfarrpersonen zudem zu prüfen, warum sie wel­che Elemente der Feiern für unverzichtbar halten: «Vielleicht halten wir ja an Elementen fest, die für die Betroffenen gar nicht so wichtig sind», so der Berner Pfarrer. 

Für künftige Rituale zum kollektiven Erinnern könnten die Kirchen durchaus erwägen, das bisher Gewohnte durch geeignete Angebote zu erweitern, sagt Daniel Hubacher weiter. Oder auch, die Friedhöfe in neue Formen vermehrt einzubeziehen. Trotz der Optionen fehlt dem Pfarrer jedoch der gemeinschaftliche Teil: «Es ist für mich wie die Videokonferenzen: eben doch nur die zweitbeste Lö­sung.»