Sie haben am 12. Dezember am «Gastrostreik» in Bern teilgenommen. Es ist das erste Mal, dass Sie in Ihrem Leben an einer politischen Demonstration mitmachen. Wieso gerade jetzt?
Bernhard Jungen: Ich nahm aus persönlicher Betroffenheit teil. Als Gastroseelsorger in Basel erlebe ich hautnah mit, wie es den Menschen geht, die in der Gastronomie tätig sind. Ich beobachte eine grosse Verzweiflung und Ratlosigkeit. Hinter jedem geschlossenen Betrieb stehen Menschen, die unmittelbar in ihrer Existenz bedroht sind. Nicht nur Besitzer von Restaurants und Kaffees vermitteln mir ihre Existenzängste. Auch die Angestellten haben Angst, ihre Jobs zu verlieren. In der Schweiz rechnet man mit 100'000 Stellen, die in diesem Bereich akut gefährdet sind. In der Stadt Basel gibt es rund 1000 Restaurants. Wenn da ein Viertel oder ein Fünftel von denen schliesst, ist das furchtbar. Viele Gastronomen und Gastronominnen haben diesen Sommer Vieles unternommen, um ihre Geschäfte für Kundinnen und Kunden sicher und attraktiv zu halten. Jetzt mit der verordneten Schliessung um 19 Uhr wird ihnen langsam der Hahn abgedreht. Das ist nicht fair. Entweder schliesst man die Restaurants und entschädigt die Betriebe entsprechend, oder man lässt sie ihre Arbeit machen. Ich will mich mit diesen Menschen solidarisch zeigen, denn in meinen Augen trägt die Gastronomie grosse Verantwortung, was den Zusammenhalt unserer Gesellschaft angeht.
Inwiefern?
In Restaurants und Kaffees treffen Menschen aufeinander, die sich im Privaten wohl eher aus dem Weg gehen würden: Menschen verschiedener Generationen, Schichten, Hintergründe und mit verschiedenen politischen Ansichten sitzen auch mal gemeinsam an einem Tisch. Zudem sind Kaffees für Seniorinnen und Senioren oft wichtige Kontaktorte. Ihr tägliches Kaffee ermöglicht ihnen soziale Kontakte zu knüpfen. In Basel sind 50'000 Einzelhaushalte registriert. Damit ich will ich nicht sagen, dass in diesen alle einsame Menschen wohnen, aber für viele Menschen ist der Kaffeebesuch der wichtigste Kontaktort in ihrem Alltag. Zudem geschieht in vielen Gastronomiebetrieben wichtige Integrationsarbeit: Hier können Menschen mit Migrationshintergrund den Berufseinstieg schaffen und haben sogar die Möglichkeit, sich weiterzubilden oder beruflich aufzusteigen. Der Eintritt in die Gastronomie kann Sprungbrett für die spätere Karriere sein. Ich kenne einige Pfarrerinnen und Pfarrer, wie auch Lehrerinnen und Lehrer, die während ihrem Studium in der Gastronomie arbeiteten und dort viel fürs Leben lernten.