Recherche 29. September 2021, von Noah Pilloud

Hoffnung trotz vieler Ungewissheiten

Kino

Ein Dokumentarfilm erzählt die Geschichte des Munitionslagers in Mitholz und begleitet die Bewohnerinnen und Bewohner. Die Situation beschäftigt auch das Kandergrunder Pfarrteam.

Der Film von Theo Stich geht unter die Haut. Die Schicksale der Mitholzerinnen und Mitholzer berühren. Dabei ist der Dokumentarfilm nicht überaus emotional und die Erzählweise eher nüchtern. Die Stärke des Films liegt darin, dass er die Ereignisse mit einer gewissen Distanz und doch empathisch begleitet. Regisseur Theo Stich war mit seinem Kamerateam von Beginn weg dabei und fing die Reaktionen ein, als die Bevölkerung zum ersten Mal von den verschütteten Sprengkörpern im ehemaligen Munitionslager erfuhr. «Das gibt wohl eine längere Ge­schichte», hören wir den Mitholzer Paul Trachsel im Film auf seinem Nachhauseweg sagen.

Unterschätzte Gefahr

1941, während des Zweiten Weltkriegs also, begannen die Bauarbeiten am Munitionslager neben dem Dorf Mitholz. Nach Kriegsende wurden dort Sprengsätze und Munition eingelagert. 1947 kam es zum Unglück: Drei Explosionen sprengten die Felswand auf und verwüsteten das Dorf. Der verschüttete Sprengstoff wurde als ungefährlich eingestuft und gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen. Ab 1984 beherbergte der intakte Teil des Lagers die Armeeapotheke. Erst 2018 wurde klar, dass vom Sprengstoff noch immer Gefahr ausgeht.

Theo Stich begann 2017 mit den Arbeiten an seinem Film. Was eine Dokumentation über die Explosion des Munitionslagers 1947 werden sollte, wurde bald brandaktuell: Im Juni 2018 informierte das Bundesamt für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) über die Gefahr im verschütteten Stollen, im Februar 2020 dann über die Evakuierungspläne. Damit die nun anstehenden Räumungsarbeiten die Bevölkerung nicht gefährdeten, müsse das Dorf zehn Jahre lang leer stehen. Was auf diese Information folgte, fängt der Film auf eindrückliche Weise ein: das Hadern der Bevölkerung mit dem Schicksal, das Ringen und Verhandeln der Menschen im Dorf.

Die spezielle Situation der Betroffenen in Mitholz lässt sich nur schwer mit anderen Schicksalsschlägen vergleichen. Zur Gewissheit, spä­testens in zehn Jahren das Dorf verlassen zu müssen, kommen unzählige Fragen und Ungewissheiten. Gerade von den Älteren, die sich bisher ihren Lebensabend im Dorf vorgestellt haben, verlangt die Evakuierung vieles ab. Wie also lässt sich über ein solches Schicksal reden, wo doch dazu die Vergleichsmöglichkeiten fehlen?

«Wir können vor allem Bilder  der Hoffnung vermitteln.»

«Wir können vor allem Bilder der Hoffnung vermitteln.»

Christian Münch, Pfarrer Kandergrund

Parallelen in der Bibel

«In der Seelsorge sind Vergleiche grundsätzlich fehl am Platz», erklärt Christine Eichenberger im Gespräch mit «reformiert.». Sie betreut als Pfarrerin gemeinsam mit ihrem Kollegen Christian Münch die Gemeinde Kandergrund und somit auch das Dorf Mitholz. «Im Moment können wir vorab Bilder der Hoffnung vermitteln», fügt Münch an. Die Bibel biete dazu viel Material. Gerade von Vertreibung, Exil und der Hoffnung auf Rückkehr wisse sie viel zu erzählen.

Andere Perspektiven zeigen

Doch bisher ist noch niemand wegen der Räumung direkt an die Pfarrpersonen gelangt. «Im Moment ist vieles wohl noch zu wenig konkret», meint Eichenberger dazu. Darüber gesprochen werde durchaus, oft seien die Leute auch schon froh, höre ihnen jemand einfach zu. Und manchmal seien sie als Seelsorgende da, um einen anderen Blickwinkel aufzuzeigen. «Sich aus der Verwurzelung zu lösen, kann befreiend wirken», sagt Münch. Diese Perspektive könne er, der in seinem Leben öfters umgezogen sei, in die Gespräche einbringen.

«Viele sind froh, wenn ihnen jemand einfach mal zuhört.»

«Viele sind froh, wenn ihnen jemand einfach mal zuhört.»

Christine Eichenberger, Pfarrerin Kandergrund

Christine Eichenberger kann die Verbundenheit mit einem Ort gut verstehen: «Einst hatte ich in Frutigen Wurzeln geschlagen, und es war wohltuend, wieder in dieses Tal zurückzukommen, als ich vor zwei Jahren die Stelle hier antrat.» Es ist also wichtig, den Schmerz der Menschen zu verstehen, aber auch, den Blick auf das Positive und die Hoffnung zu lenken. «Dass bei manchen ein wenig Trauer und Schmerz bleiben werden, liegt in der Natur der Sache und soll auch Platz haben», meint Eichenberger. Schade fände sie es hingegen, wenn Menschen deswegen verbittert würden.

Zwischen Mitleid und Wut

Das Munitionslager beschäftigte die Pfarrpersonen aber schon vor den jüngsten Ereignissen: Die Explosion von 1947 wurde manchmal in Gesprächen thematisiert. «Der Film zeigt aber, dass die Traumata von 1947 nicht aufgearbeitet wurden», sagt Eichenberger. Über die schrecklichen Ereignisse sei nicht gesprochen worden.

Geschwiegen haben ebenso die Behörden – auch das zeigt der Film. So lassen sich die Wut und das Misstrauen der Bevölkerung gut verstehen. «Ich schwankte während des Films zwischen der Wut über das Versagen der Behörden und dem Mitleid mit den betroffenen Menschen», sagt Münch.

Der Film «Mitholz – Die explosiven Hinterlassenschaften der Armee» von Theo Stich (Frenetic Films, 80 Min) läuft seit 26.08.2021 in den Schweizer Kinos. www.mitholz-film.ch