Recherche 22. Dezember 2022, von Bettina Gugger

Suche nach der perfekten Form

Kunst

Christian Bolt ist Professor der Accademia delle Arti del Disegno in Florenz. Was ihn antreibt, ist sein Glaube, in dem er Kraft und Freiheit findet. 

In der grosszügigen lichtdurchfluteten Eingangshalle wartet eine menschengrosse und David-ähnliche Skulptur aus Marmor, beide Arme um sich selbst schlingend, auf ihre Vollendung. Quer über die Brust des männlichen Aktes verläuft streifenartig eine Spur Gold. «Der Adoro», so Christian Bolt, «kann nichts festhalten. Es geht darum, das Leben als etwas Fliessendes zu betrachten.» Die Skulptur wiegt 1,2 Tonnen, herausgearbeitet aus einem 4,5-Tonnen-Block Statuario, einer von 50 Marmorsorten aus den Steinbrüchen bei Carrara, wo schon Michelangelo seinen Marmor bezog. Angefangen hat Bolts Karriere mit 15 Jahren an der Schule für Holzbildhauerei in Brienz im Kanton Bern. Zwei Jahre studierte er an der Accademia di Belle Arti in Carrara. Danach führte er das Studium der bildenden Kunst an der Accademia di Belle Arti in Florenz weiter. Heute ist Bolt der erste Schweizer Professor der Accademia delle Arti del Disegno, der ältesten Kunstakademie der Welt. Die Accademia birgt zahlreiche Kunstschätze.

Klare Ziele

Christian Bolt, der seit 2003 mit seiner Frau in Klosters lebt, ist in Uster geboren und in Zürich aufgewachsen. Zusammen haben sie drei Söhne im Alter von 13, 15 und 17 Jahren. Schon früh hegte er eine Faszination für Geometrie. Ihn fesselte der Gedanke, etwas aus einem Volumen herauszuarbeiten. «Auch hatte ich immer ein gutes Empfinden für mich selbst», erzählt der Künstler, während er durch die Sammlung seiner Gipsmodelle führt, Studien, die den steinbildhauerischen Arbeiten vorangingen. «Ich wollte forschen, entwickeln, etwas Philosophisches umsetzen, das sich auch in den Markt integrieren lässt», so der Künstler. Dabei durfte er auf die Unterstützung seiner Eltern zählen; der Vater war Elektroingenieur bei der ABB, die Mutter hauswirtschaftliche Betriebsleiterin.

Kraft im Glauben

Die Eltern haben dem Buben einen starken Glauben mitgegeben, der bis heute hält: Bolt ist ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, einer Konfessionsgruppe der Mormonen. Das Mormonentum ist mit sehr strengen Glaubensregeln assoziiert. Diese Strenge und bedingungslose Hingabe an den Glauben Jesus Christus äussert sich bei Bolt in einer um­fassenden Selbsterforschung und Wei­terentwicklung seiner künst­le­rischen Konzepte. «Das Leben», so Bolt, «ist eine Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott.» Im Streben nach Perfektion nimmt der Bild­hauer eine demütige Haltung ein, im Glauben, dass es eine Übernatur in der Gestalt Gottes gibt, die wiederum seine höhere Ebene im Menschen vermehren will.

Neues erforschen

Gemäss Bolt braucht der Mensch einen «Sparringspartner, um sich selbst zu definieren». So diene die Orientierung am Göttlichen der Entwicklung des Potenzials. Gehe diese Verbindung verloren, laufe der Mensch Gefahr, unter seinen Möglichkeiten zu leben, so Bolt: «Religion muss den Menschen stark machen, frei in dieser Welt.»
Die Freiheit ist Bolt wichtig. So solle sich der Mensch auch niemals von seinem Wissen gefangen nehmen lassen. In seinem kreativen Schaffen schlägt sich dieser Gedan­ke nieder.
In seinen Assemblagen sucht er die Verschmelzung von Malerei und Bildhauerei. Aus Marmorstaub entwickelte er eine Marmormodelliermasse, die er auf einen hölzernen Malgrund aufträgt und mit Eingravieren weiter bearbeitet. So entstehen originelle Miniskulpturen, die scheinbar aus dem Malgrund neu herauswachsen. Eine Aufforderung, den gewohnten Rahmen zu verlassen und immer wieder Neues zu erforschen.