Aus dem Alltag ausbrechen

Poesie

Pfarrer und Pfarrerinnen im Wort-Wettstreit. Der erste Bündner Preacher Slam begeisterte das Publikum.

«Wallhalla Bar»: Wo sonst Hardcore-Bands spielen und die alljährliche alternative «WEF-Party» stattfindet, traten sechs Pfarrerinnen und Pfarrer zum dichterischen Wettstreit an, dem Preacher-Slam. Preacher-Slam ist eine sprachliche Abwandlung von Poetry-Slam, einer literarischen Vortragsform von selbst geschriebenen Kurztexten. Das Publikum benotet die Texte mit der Stärke seines Applauses. Zu gewinnen gibt es Hochprozentiges, meist eine Flasche Whisky, dieses Mal war es Gin, weil sie den selber auch gerne trinke, so Pfarrerin Hannah Thullen. Sie organisierte den Preacher-

Slam. «Es war ein Wagnis. Hier existiert keine Poetry-Szene. Ich wusste nicht, wie ein solcher Anlass beim Publikum ankommen würde.»

Als sogenanntes «Opferlamm» eröffnete Thullen in Davos den Wettbewerb. Das «Opferlamm» trägt den ersten Text ausser Konkurrenz vor und stimmt damit das Publikum ein. In ihrem Text machte sich die 28-jährige Pfarrerin Gedanken über ihren Beruf. Wie eine «specie rara» komme sie sich vor, wenn fremde Menschen ihr entgegnen, dass sie eigentlich gar nicht aussehe wie eine Pfarrerin, oder sie direkt fragen, ob sie als Pfarrerin denn auch Sex habe. Thullen scheut die Antwort genauso wenig: «Aber ja und wie steht es mit ihnen?» Trotz aller Reformation stehe die Pfarrperson also «noch immer für etwas Halbheiliges».

Vom Abendmahl. Als Erster im Wettbewerb startete des Kantons jüngster Geistlicher: Patrick Brand, 27. Der Zernezer Pfarrer mit Berner Wurzeln legte die Latte von Beginn weg hoch. Sein Exkurs in die Thematik des Abendmahls sowie dessen nachhaltige Wirkung, vor allem in bakterieller Hinsicht, war nicht wenig gruselig: «Die grössti pandemischi Hebuwürkig het drum gemäss wissenschaftliche Studie nid dr Söifer u d’Brösmeli im Trubesaft, sondern dr Pfarrer mit syne schmuddelige Taupe bim Brotusteile.» Dann betrat der Filisurer Pfarrer, Nico Rubeli, die von den «Wallhalla»-Mitarbeiterinnen eigens für diesen Anlass erbaute Bühne. Im «Wallhalla», so der Name der Davoser Bar, gemäss nordischer Mythologie der Ruheort gefallener Kämpfer, fühlte er sich am richtigen Ort. «Auch wir Pfarrer sind Kämpfer, keine gefallenen, sondern solche, die um Gefallen kämpfen.» Das Publikum fand Gefallen. Es folgte Christoph Reutlinger, Pfarrer in Tschlin und Ramos mit neuen Thesen zu den Thesen der Bündner Reformatoren, während Claudia Bollier aus Davos Monstein sich die Kirche als Besucherin in der Praxis eines grossen Gesundheitszentrums vorstellte. «Da sitzt sie nun – schwer einzuschätzen, wie alt sie ist, irgendwie sieht sie zeitlos aus.» Nach langem Betrachten der Hochglanzmagazine geht sie wieder: «‹Semper Reformanda› – das ist ein schönes Wort für sie – die Kirche, ja schon, ein schönes Wort – aber muss es gleich sein?»

Den Sieg machten schliesslich Haiko Behrens aus dem Mittelschanfigg und Suzanna Hulstkamp (Zillis/Schamserberg) unter sich aus. Mit seinem «Tagebuch eines sondersynodalen Verfassungsrevisionisten» hatte Behrens die meisten Lacher des Abends zu verantworten. Intensiv setzte er sich mit dem landeskirchlichen Verfassungsentwurf auseinander und war beeindruckt: «Die Paulusbriefe wirken dazu im Vergleich nahezu wie dahingeschluderte Gelegenheitsschriften.» Als er dabei die Taufe Absatz für Absatz durchging, stutzte er: «Kirchenmitglied wird man jetzt durch die Taufe oder im Hinblick auf selbige. Aber die Mitgliederzahlen nehmen doch ab.» Und wurde dabei auch ein bisschen müde und schaute aufs Natel: «Im Wallis wurde ein Wolf gesichtet. Was tun? Schiessen? Vielleicht sollte man ihn taufen, dann verschwindet er bestimmt.»

Im Sumpfloch. Dann wurde es still. Und Suzanna Hulstkamp kam, las und siegte – wenn auch nur knapp. «Dort, wo das Wetter entsteht», begann sie, von ihrer Papierrolle zu zitieren und beschrieb das «Absichtslose der Fülle», das «Schweigen, Stille», verlor sich in den «irdenen Kulen ausgewachsener Sumpflöcher» und fand sich wieder «im sola und im fide» eben dort, «wo das Wetter entsteht …»

Das Publikum, grösstenteils kirchennah, war begeistert vom ersten Bündner Preacher-Slam. Und Hannah Thullen erleichtert. Die Überzeugungsarbeit bei den Pfarrkollegen habe sich gelohnt, freute sich die junge Pfarrerin. Ganz bewusst fiel auch der Entscheid zur Durchführung in ihrer «Lieblingsbar». Aus der Rolle des Pfarrers zu schlüpfen, sei hier viel einfacher als in einer Kirche, so Thullen. Pfarrer einmal anders wahrnehmen, das sei nicht zuletzt das Ziel dieser Veranstaltung gewesen, so Thullen und nahm auf einem Barhocker Platz, während ihre Berufskollegen derweil das Queue am Billardtisch wetzten.

Pfarrer und Poeten

Preacher-Slams gabes bereits in den Kantonen Basel und Bern. Dort traten Pfarrer und Pfarrerinnen nicht gegeneinander, sondern gegen geübte Poetry-Slammer an. In Basel fand ein Preacher-Slam in der Matthäuskirche (Matthäusplatz) statt und in der Bundeshauptstadt in der Heiliggeistkirche, neben dem Hauptbahnhof.