Jesus lehrte seine Freunde ein kurzes, prägnantes Gebet. Ursprünglich begann es nicht mit «Unser Vater», wie es in der Parallele im Matthäusevangelium 6,9 steht; diese Anrede wurde erst beim späteren gemeinsamen Gebrauch im Gottesdienst nötig. Das Gebet setzte wahrscheinlich mit dem knappen aramäischen «Abba» ein, Vater, einer damals in Galiläa üblichen Anrede für Gott. Schon immer hatte sich das Volk Israel als «Kinder Gottes» bezeichnet und damit ein besonderes Vertrauensverhältnis ausgedrückt.
Heiligung des göttlichen Namens? Auch sie hat Jesus bereits vorgefunden: «Kiddusch Haschem» ist eine vertraute Redewendung, etwa aus Psalm 103, wo alles im Menschen Gottes heiligen Namen loben soll. Gott ist und bleibt Geheimnis; er kann auch von denen, die ihn ernsthaft suchen, nicht mit einem Begriff präzise benannt werden.
Der Gott der hebräischen Bibel, dem Jesus vertraute, trug daher ganz unterschiedliche Namen. Diese sind oft mit Geschichten, mit Begegnungen verbunden, denn von einem Namen muss man erzählen, um ihn zu begreifen. Mose etwa lernte in der Wüste den Ich-bin-da kennen. Oder Hagar, von ihrem Mann Abraham samt Sohn in die Wüste verbannt, nennt ihren Rettergott El-Roi: Gott-der-mich-sieht. Der Name Gottes ist wandelbar, aber sein Wesen kann erlebt werden. Menschen erfahren konkret, wie er begleitet und wirkt.
«Geheiligt werde dein Name» wird am ehesten verständlich, wenn die Verkehrung herangezogen wird. Das 3. Gebot etwa verbietet, den Namen Gottes zu missbrauchen. Bei den Propheten heisst es, der heilige Name Gottes dürfe nicht entweiht werden. Konkret: Beutet niemanden aus, unterdrückt die Schwachen nicht, verübt keine Gewalt an Frauen! «Heiligen» heisst dann also umgekehrt, gerecht und voller Mitgefühl zu handeln. Der Rabbiner und Schriftsteller Ezriel Tauber entwarf ein schönes Bild dafür: «Kiddusch Haschem heisst (…) das Leben auf der Erde als eine Reflexion des Himmels zu gestalten.» Und der Berner Theologe und Literat Kurt Marti übersetzte diese Jesus-Bitte so: «dein name werde tätigkeitswort».
Jesus lehrte mit seinem Gebet somit nichts anderes, als was er selbst lebte und praktizierte: Mensch, du bist Gottes Partner auf Erden. Mach dich nicht klein, ohnmächtig oder unfähig. Vertraue vielmehr der Würde aus dieser verwandtschaftlichen Beziehung: «Ihr sollt heilig sein, denn ich, euer Gott, bin heilig» (3. Mose 19,2). Spiegle durch dein Tun den Himmel.
