Herr Meierhans leidet an einem bösartigen Tumor, doch der Zustand des 88-Jährigen hat sich so stabilisiert, dass er bald in ein Pflegeheim verlegt wird. Lieber würde er bleiben. «Hier ist es wunderbar.» Er habe erst lernen müssen, offener zu sein, sich emotional berühren zu lassen. Als er das erzählt, glänzen seine Augen feucht. Und mit einem verlegenen Lächeln fügt er an: «Ich bin ein Weichei geworden, doch eigentlich fühlt sich das ganz schön an.»
Ausbildung bieten Aargauer Landeskirchen
Die besondere Stimmung im Hospiz berührt auch das Personal immer wieder. Für Ardita, 32, ist es der erste Arbeitsort nach ihrer Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit. «Hier haben wir Zeit für die Menschen, und ich kann meine Berufung leben», sagt sie. Die Patienten sagen ihr, ihre Ruhe übertrage sich auf sie. «Das zu hören macht mich glücklich.» Vieles geht ihr aber sehr nahe. «Wenn junge Menschen sterben, nimmt mich das mit. Doch es zeigt mir, dass ich nicht kalt werde.» Seit sie hier arbeite, gewichte sie vieles in ihrem Leben anders.
Dass es diesen Ort im obersten Stock des Medizinischen Zentrums Brugg gibt, ist einer Vision zu verdanken. Vor 30 Jahren gründete Luise Thut das Hospiz Aargau. Sie wollte damit ein Umfeld schaffen, in dem Menschen ihre letzte Lebensphase geborgen und in Würde durchleben können. Zunächst begleiteten Freiwillige Sterbende zu Hause. Die stationäre Abteilung mit zehn Betten und 30 Angestellten kam später dazu. Heute gibt es für Hinterbliebene im Kanton Aargau acht Trauertreffs. Noch immer sind die Freiwilligen das Rückgrat. Wie Susanna haben die meisten die Kurse der Aargauer Landeskirchen absolviert. Dort lernen sie, Sterbende und Trauernde achtsam zu begleiten. Jährlich leisten sie über 10 000 Stunden Präsenz und Zuwendung.
Am Mittag sitzt Susanna wieder bei Frau Leutschi. Sie cremt deren Hände ein. Zwischendrin zeigt sie auf die besonderen Wolkenformationen am Himmel. «Schau, gleich kommt das Sünneli.» Frau Leutschi lächelt schwach, lehnt sich zurück und schliesst die Augen. Als sie eingeschlafen ist, nimmt Susanna ein Buch aus ihrer Tasche und beginnt zu lesen.
Zehn Tage später brennt vor Frau Leutschis Zimmer eine Kerze. Vor ihrem Tod fand sie zu ihrem inneren Frieden.