Schwerpunkt 26. August 2020, von Rita Gianelli, Katharina Kilchenmann

Eine Jahrtausende lange Reise – und dann kommt die Mafia

Sand

Wie der Sand von den Bergen über Jahrtausende ins Meer gelangt – und wie dann schmutzige Geschäfte damit gemacht werden, auf Kosten der Umwelt. In Afrika beginnt der Bauboom erst.

Unmessbar wie der Sand am Meer, so zahlreich werde ich die Nachkommen Davids, meines Dieners, machen.
Jeremia 33,22

​Geologie …

Sand und Strand – diese Begriffe sind eng miteinander verbunden. Wie und wo aber entsteht Sand, und auf welchen Wegen gelangt er an die Meeresstrände?

Sand besteht aus Feldspat, verschiedenen Gesteinsbruchstücken wie Carbonat, Tonstein und grösstenteils aus Quarz, einem Mineral aus Siliziumdioxid, das härter ist als Stahl. Er bildet die Grundlage für jede Art von Elektronik und Beton. Seine Mineralkörner haben ­ei­ne Grösse von 0,063 bis 2 Millimeter. Sand kommt in verschiedenen Arten vor. Da gibt es den Feinsand, den Bruchsand, natürlichen scharfkantigen Sand oder auch den Flugsand. Dieser bewegt sich im Wind besonders leicht und türmt sich oftmals zu Dünen auf.

Der Sand der Strände, den auch der Prophet Jeremia vor Augen hatte, als er die Grösse des Volkes Israel mit dem Sand am Meer verglich, stammt ursprünglich aus den Bergen. Denn Sand entsteht durch Reibung am Gestein. Reibung entsteht, weil Gletscher ständig in Bewegung sind. «Diese glaziale Erosion hat ­ei­ne unvorstellbare Kraft. Sie zerreibt Fels­massen in kleinste Teile. Je höher der Berg, desto stärker wirkt die Schwerkraft und Erosion. Und umso mehr Sand entsteht», erläutert die Geologin Laura Stutenbecker, die im Rahmen eines Nationalfondprojekts das Rhonedelta auf Sand­vor­kom­men untersucht hat.

Verschwinden die Gletscher, verringert sich auch die natürliche Sandproduktion. Die Alpen sind also eine Art Sandfabrik, und die Schweiz mit ihren Bergen ist ­eine Quelle für die Sandentstehung. Das Material, das auch durch Steinlawinen und Erdrutsche im Bachbett lan­det, tritt einen langen Weg an, bis es im Meer ankommt. Je länger das Gestein im Gewässer herumgeschleudert wird und sich zum Kiesel und schliesslich zum Sandkorn wandelt, desto feiner wird der Sand. Ist er einmal im Meer gelandet, trägt ihn die Meeresströmung weiter, bis er schliesslich an die Strände gelangt. Diese Reisen dauern Jahr­tausende.

Sand ist wichtig für das ökologische Gleichgewicht der Seen und Meere. Wenn nicht genügend Sand in die Gewässer geschwemmt wird, veröden sie ökologisch. Das passiert beim Bau von Staudämmen. Sandböden liefern Nährstoffe für Organismen oder dienen als Versteck vor Fressfeinden.

(...) denn den Reichtum der Meere saugen sie ein und die verborgensten Schätze des Sandes.
Deuteronomium 3,19

… und Raubbau

«Die Leute kamen nachts, bedrohten die Bewohner des Fischerdorfs mit Waffen und luden mit ihren Bag­gern riesige Mengen Sand auf die Lastwagen.» Pascal Peduzzi war 2010 als wissenschaftlicher Forscher des Umweltprogramms der Ver­ein­ten Nationen in Jamaika, als das pas­­sierte. Sand sei so wertvoll, fährt er fort, dass es sich für mafiöse Verbindungen lohne, den Rohstoff il­legal abzubauen.

Doch ob legal oder illegal abgebaut, der gewaltige Sandkonsum weltweit ist ein Problem. In Asien, insbesondere in China, aber auch in Af­rika wird viel gebaut. «Überall dort, wo die Menschen aus den Dörfern in die Städte ziehen, braucht es Sand, um die Infrastruktur bereitzustellen. Und in Afrika fängt der Bauboom erst so richtig an», so der Umweltwissenschaftler Peduzzi, der heute die Global Resource Information Database in Genf leitet.

Auch für den Landgewinn am Meer würden Unmengen des Rohstoffs auf­geschüttet. «Singapur etwa hat seit 1970 sein Gebiet um 23 Prozent vergrössert, ausschliesslich mit importiertem Sand.»

Der unregulierte Sandabbau ist ge­fähr­lich. Der vielseitige Rohstoff wird nicht nur den kommenden Generationen fehlen, er fehlt bereits jetzt. Wenn ein Badestrand weggebaggert wird, kommen keine Touristen mehr, und ein wichtiges Ökosystem, nämlich der Übergang vom Wasser zum Land, verschwindet.

«All die Mikroorganismen eines Sand­strands haben grossen Einfluss auf die Natur und damit auf den Men­schen. Wenn sie fehlen, ist das Gleichgewicht gestört», führt Pascal Pe­duzzi aus. Und ausserdem schützen instabile Flussufer weniger vor Über­schwem­­mungen.

«Wir müssen klüger und strategischer mit der Ressource umgehen, von der wir abhängig sind», fährt der Wissenschaftler fort. Es gelte, den Sandverbrauch weltweit zu reduzieren und wenn möglich durch andere, ökologischere Materia­lien zu ersetzen. Auch Rezyklieren sei möglich und sinnvoll. «Es braucht jetzt dringend internationale Regelungen, die einen bewussten Umgang mit dem kostbaren Rohstoff garantieren.»