Wie die jüngste Statistik des Bundes zeigt, bilden heute die Konfessionslosen die grösste Gruppe in der Schweiz. Viele befürchten, dass die Zeiten der Volkskirchen vorbei ist. Wie schätzen Sie das ein?
Andreas Walker: Die Suche nach Sinn und Werten und das Bedürfnis nach Achtsamkeit und Spiritualität sind im Wachsen begriffen – aber wird das innerhalb von Kirchen aus Stein gesucht? Wir müssen differenzieren: Aus globaler Sicht gibt es grosse Länder, in denen die Kirchen wichtige Player sind. Für den Bibellesebund referierte ich im Kongo. In solchen Ländern mit hoher Korruption gelten die Spitäler und Schulen der Kirchen als hochwertig und zuverlässig. Aber aus mitteleuropäischer Perspektive haben wir eine grosse Kirchenkrise. Auf dem Jahrmarkt der spirituellen Bedürfnisse sind das staatliche Monopol und die universitäre Ausbildung der Landeskirchen wenig wert, sie sind nur noch ein Player unter vielen – und andere sind geschickter, attraktiver und näher beim Publikum.
Wie meinen Sie das?
Manche Kirche ist behäbig unterwegs. Die katholische Kirche leidet unter den Missbrauchsskandalen. Das Moral-Monopol haben wir verloren und viele Predigten sind mittelmässig. Die Landeskirche hat ihren Platz im 21. Jahrhundert noch nicht gefunden. Viele beschreiben die Kirche als schwankendes Schiff: gehört sie in den Hafen oder aufs Wasser? Eine Kirche, die fest im Hafen vertäut und geschützt liegt, bewegt sich nicht und modert. Ein Schiff gehört in die Wellen. Kirche hat Zukunft, wenn sie spirituell mit den Menschen unterwegs ist.