Protestantisch oder katholisch? Diese Frage wurde in der Schweiz noch in den 1980er-Jahren ungefähr hälftig mit «protestantisch» oder «katholisch» beantwortet. Heute ist es, nicht zuletzt wegen der Anwesenheit weiterer Religionsgemeinschaften, anders. Hinzugekommen sind auch die Konfessionslosen. Ursprünglich rebellische «Exoten», stellen sie jetzt erstmals die grösste Gruppe, wie das Bundesamt für Statistik vermeldet.
Wissen kontra Glauben
Dass bei alledem auf dem Land die Kirche noch immer mitten im Dorf steht, ist bekannt. Ebenso, dass ältere Jahrgänge mehr mit Kirche am Hut haben als Jüngere. Gemeinhin wird auch vermutet, dass wissenschaftlich Gebildete Religiöses eher ablehnen als Menschen aus nicht universitären Kreisen.
Die Statistik bestätigt diese Mutmassung, zumindest mit Bezug auf die jüngere Generation: Junge, die auf Tertiärstufe ausgebildet sind, also eine Universität oder eine Fachhochschule absolviert haben, sind zu 41 Prozent konfessionslos. Bei Altersgenossinnen und -genossen mit Berufslehre beträgt dieser Anteil nur 30,9 Prozent, und jene ohne erlernten Beruf gehören lediglich zu 24,2 Prozent keiner Konfession an.
Dieser Befund scheint ein Klischee zu bedienen, dem man in Diskussionen rund um Kirche und Religion immer wieder begegnet: Glauben sei doch nur etwas für weniger Gebildete. Die Gebildeten aber seien aufgeklärt und folgten «der» Wissenschaft, sie brauchten keine religiöse «Märchenstunde» mehr, um die Welt zu erklären und glücklich zu sein.
«Not lehrt beten»
Was ist von solchen Aussagen zu halten? Isabelle Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Dass Bildung in einer Wechselbeziehung mit Religion und Kirchenmitgliedschaft steht, bestätigt sie. Das gelte aber auch für Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensdauer. «Wer fragt, ob Kirche primär für weniger Gebildete ist, kann somit genauso gut fragen, ob Gesundheit vor allem für Gebildete ist», führt sie aus.
Zur Erklärung dieser Zusammenhänge gehe ein Aspekt gerne verloren: Religion, Kirchen und Glaube dienten der Lebensorientierung bei Sinnfragen. Im Volksmund heisse es: Not lehrt beten. «Nun sind höher Gebildete im Durchschnitt gesünder, fühlen sich wohler und leben länger.» Aufgrund ihrer sozioökonomischen Vorteile seien sie im Schnitt seltener mit existentiellen Fragen wie Krankheit, Armut und Diskriminierung konfrontiert als weniger Privilegierte.
Schleyermachers Verteidigungsschrift
«Bei alledem gehen Religion und Kirche jedoch nicht im Leid auf», hält Isabelle Noth fest. Und es seien nicht nur die Vorteile einer höheren Bildung, sondern insbesondere auch Vorurteile, die zu einer Geringschätzung von Kirche und Religion führten. Dies habe kein Geringerer als der berühmte Theologe Friedrich Schleiermacher den Gebildeten unter ihren Verächtern in seinem Werk «Über die Religion» schon vor über 200 Jahren ins Stammbuch geschrieben.
Und doch halten viele höher Gebildete an ihrem negativen Urteil gegenüber Kirche und Glaube fest – in akademischen Milieus ist man zunehmend überzeugt, dass Szientismus, also eine auf strikter Naturwissenschaftlichkeit gründende Haltung, die besten Antworten auf alle Fragen liefert. Der Burgdorfer Pfarrer Manuel Dubach, vielen bekannt durch seine Auftritte im «Wort zum Sonntag», kennt das Thema aus der eigenen Biografie.