Politik 18. April 2024, von Marius Schären

«Ich mache mir grosse Sorgen um die Menschen im Nahen Osten»

Nahost

Rund um Israel stehen die Zeichen auf Gewalt. Doch er sei immer wieder überrascht, wie viele Menschen im Land untereinander im Gespräch bleiben, sagt der Theologe Christoph Knoch.

Welche Verbindungen haben Sie zu Israel?

1979/80 habe ich als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes acht prägende Monate in Jerusalem verbracht. Ich habe während des Studiums erfahren, dass es weder «das» Judentum, «den» Islam noch die «Christen» gibt, sondern dass in Jerusalem eine Vielzahl verschiedener Lebensformen in den Religionsgemeinschaften zu erleben ist. Nahezu alle Varianten christlicher Kirchen pflegen ihre «Niederlassung» in Jerusalem.

Und seit jener Zeit pflege ich etliche Freundschaften und Kontakte, zudem hat meine Frau nahe Verwandte in Israel. Während eines mehrmonatigen Studienurlaubs 2012/13 habe ich mich vor allem auf die Präsenz der zahlreichen protestantischen Kirchen und Gruppen in Jerusalem konzentriert. 

Wie haben Ihre Kontakte dort auf den Angriff des Iran am Wochenende vom 13. und 14. April reagiert?

Während der Woche nach Ostern, die ich in Jerusalem verbracht habe, war der 7. Oktober mit der Terrorattacke der Hamas und dem Einmarsch der israelischen Armee im Gazastreifen immer wieder Thema. Alle meine Gesprächspartner waren entsetzt über die vielen Toten. Unverständnis und Trauer über die Geiseln, Trauer über die Toten in Gaza herrschte vor. Über allem aber schwebte die dumpfe Sorge, ob es zu Attacken der Hisbollah aus dem Libanon oder vom Iran kommt. Nach dem Angriff am letzten Wochenende, meinten meine Freunde in Israel: «Zum Glück bist du wieder zurück in der Schweiz.» Es war für alle eine schlimme Nacht mit grosser Angst und Unsicherheit. Und im Umfeld meiner Bekannten hoffen alle, dass es nicht so weitergehen wird. 

Christoph Knoch, 67

Christoph Knoch, 67

Der Pfarrer im Ruhestand ist Präsident der AKB (Arbeitsgemeinschaft der Kirchen im Kanton Bern), Vize-Präsident der Iras Cotis (interreligiöse Arbeitsgemeinschaft der Schweiz) und verbrachte ein Studienjahr 1979/80 und Sabbatical 2012/13 in Jerusalem.

Wie erleben in Ihrer Wahrnehmung die Menschen in Israel die Entwicklung des Konflikts?

Was ich vernehme, bildet nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Gesellschaft ab. In meinem Umfeld machen sich alle grosse Sorgen. Erschreckend war für mich, dass meine israelisch-palästinensischen Freundinnen und Freunde übereinstimmend davon erzählen, dass sie seit dem 7. Oktober sehr zurückhaltend sind mit Äusserungen in den Social-Media-Kanälen. Schon nur je nach Like von Beiträgen könne es sein, dass eine Vorladung wegen Terrorunterstützung folge. Einige Bekannte und Freunde aus dem israelisch-jüdischen Kontext reisen regelmässig zu den Demonstrationen gegen die Netanyahu-Regierung in Tel Aviv oder Jerusalem. «Viele von uns», sagt etwa eine Archäologin, «haben vor dem 7. Oktober überlegt, nach Berlin oder in die EU auszuwandern. Doch jetzt ist das kein Weg mehr. Unser Land braucht uns jetzt. Wir müssen für den Frieden und die Demokratie einstehen. Wer, wenn nicht wir?»

Und wie reagieren die Christen im Land?

Die Vertreter der lokalen Kirchen in Jerusalem haben in mehreren ökumenisch breit abgestützten Stellungnahmen ihre Stimme gegen die Gewalt erhoben. Gleichzeitig bitten sie um eine klare Unterstützung durch die weltweiten Kirchen, denn ihre Situation wird immer schwieriger. Die Besuche des Erzbischofs von Canterbury, des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen wie auch die engen Kontakte der lateinischen Patriarchen in Jerusalem mit dem Vatikan sind wichtig. 

Ich möchte – mit diesen Menschen – die Hoffnung nicht aufgeben, dass andere Zeiten möglich sind.

Wie sollte der Staat Israel darauf reagieren?

Ich wünsche mir, dass die israelische Regierung sich ihre Reaktionen sehr gut überlegt und nicht einfach mit Raketen in der anderen Richtung reagiert.

Was dachten Sie zuvor beim mutmasslich israelischen Angriff vom 1. April auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Syrien?

Dass Israel immer wieder die Drahtzieher hinter Attacken, auch terroristischen, mit Gewalt zu eliminieren versucht, ist nicht neu. Ob es klug war, ein extraterritoriales Konsulatsgebäude in Damaskus zu beschiessen, wage ich nicht zu beantworten.

Was könnte geschehen, wenn die Lage eskaliert und ausser Kontrolle gerät?

Ich mache mir grosse Sorgen um die Menschen im ganzen Nahen Osten.

Welche Möglichkeiten zur Beruhigung der Situation sehen Sie?

Ich bin immer wieder überrascht von den zahlreichen Menschen in Israel und Palästina, die trotz allem miteinander im Gespräch bleiben und daran festhalten, dass ein Zusammenleben möglich bleiben muss. Je weniger direkte Kontakte es zwischen den verschiedenen Gruppen gibt, umso schwieriger ist es, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ich möchte – mit diesen Menschen – die Hoffnung nicht aufgeben, dass andere Zeiten möglich sind.